Skip to main content

Die Turn-WM 2015 im Blick

Glasgow „ruft“…

Zurzeit finden die Weltmeisterschaften im Ringen in Las Vegas und die WM in der Rhythmischen Sportgymnastik in Stuttgart statt, Ende September folgen die WM im Straßen-Radsport in Richmond, aber eine ganz wichtige WM in einer traditionsreichen olympischen Kern-Sportart „ruft“ vom 23.Oktober bis 1.November nach Glasgow – die WM im Geräte-Turnen.

Und Mecklenburg-Vorpommern hat dabei auch eine gute Tradition im Turnsport.

Noch sind sechs Wochen Zeit bis zu den turnsportlichen WM 2015, dem letzten ganz großen globalen Härtetest vor den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Zeit, um noch einmal auf unvergessene Turn-Augenblicke aus M-V-Sicht zurückzublicken…

Rückblick auf das Jahr 1972: Vom 26.August bis 11.September 1972 fanden die XX.Olympischen Spiele in München statt. Eine große Resonanz fanden auch die Turn-Wettbewerbe. In der Olympiahalle im Olympiapark imponierten dabei die Turnerinnen und Turnen, insbesondere aus der damaligen UdSSR, der DDR und Japan.

Auch eine Rostockerin und ein Rostocker sorgten dabei für turnsportliche Begeisterung. Christine Schmitt, Jahrgang 1953, in der Hanse- und Universitätsstadt geboren, stand dabei in der silbernen DDR-Riege. Reinhard Rychly war in der bronzenen DDR-Mannschaft aktiv.

Reinhard Rychly war übrigens zunächst Mitglied des SC Empor Rostock und dann des ASK Vorwärts Potsdam. Heute ist er Sportlehrer am Christophorus-Gymnasium in Rostock

Nachgefragt bei dem Erfolgs-Turner aus Rostock (Interview 2011)

„Hatte durchaus Ambitionen zum Fußball …“

Frage: Im Oktober fanden die Turn-WM in Tokio statt. Vor fast 40 Jahren, 1972 in München, waren die japanischen Turner das „Maß aller Dinge“. Es gab einen Dreifacherfolg durch Sawao Kato, Eizo Kenmotsu und Akinori Nakayama im Mehrkampf.

Die Japaner gewannen auch den Löwen-Anteil der Medaillen im Herren-Turnen mit 5 x Gold, 5 x Silber, 6 x Bronze vor der UdSSR mit 2 x Gold, 3 x Silber, 1 x Bronze und der DDR mit 1 x Gold, 1 x Bronze.
Sie waren Mitglied der DDR-Riege, die Bronze erkämpfte. Wie verlief der Wettkampf 1972 im Mehrkampf-Team-Wettbewerb aus Ihrer Sicht?

Reinhard Rychly: Der Wettkampf verlief seinerzeit für mich optimal. Ich machte während der Entscheidung keine größeren Fehler und war mit meiner Leistung sehr zufrieden. Unser Ziel war es ja, Platz drei zu belegen, was dann auch tatsächlich gelang. Die japanischen und sowjetischen Turner waren dann wiederum eine Klasse für sich, die turnten auf einem ganz anderen Level.

Die Resonanz bei den Turn-Wettkämpfen 1972 war ebenfalls hervorragend. Fast 11000 Zuschauer fasste die Sporthalle am Olympiapark und sie war stets ausgezeichnet besetzt – eine tolle Kulisse. Das bundesdeutsche Publikum feuerte dabei auch das DDR-Team an, daran erinnere ich mich noch. Es war auf unserer Seite.

Frage: Wie kamen Sie eigentlich als gebürtiger Rostocker zum Turnsport? Eigentlich zieht es die Rostocker doch eher zum Segeln, zum Rudern, zur Leichtathletik, zum Handball oder zum Fußball. Als sich der FC Hansa im Dezember 1965 gründete, waren Sie doch eigentlich im besten Fußballspiel-Alter …

Reinhard Rychly: Ja, der Weg zum Turnen mag aus heutiger Sicht ungewöhnlich erscheinen, aber mein älterer Bruder war schon als Turner aktiv, war wohl selbst durch eine Werbe-Kampagne dorthin gelangt und nahm mich einfach einmal zum Training mit. Ich war da – ungefähr – in der 3.Klasse. Mir hatte das Turnen gleich gefallen und so blieb ich dabei.

… Allerdings hatte ich auch Ambitionen zum Fußballsport, wie es gerade bei Jungen so üblich ist. Gegenüber unserer Wohnung befand sich ein Sportplatz, auf dem ich mit anderen zusammen Fußball spielte. Aber letztendlich wurde ich ein begeisterter Turner, der das Turn-ABC in Rostock erlernte und dann zum ASK Vorwärts Potsdam delegiert wurde.

Frage: Zurück zu München 1972 … Klaus Köste wurde Olympiasieger im Pferdsprung, Karin Janz erkämpfte Gold im Pferdsprung und am Stufenbarren. Einzel-Medaillen aus deutscher Sicht, aus DDR-Sicht, erkämpfte auch Erika Zuchold. Ihre Stadtkollegin Christine Schmitt gewann Silber mit der DDR-Mannschaft. Da war die Stimmung im DDR-Team 1972 doch bestimmt riesig?

Reinhard Rychly: Ja, sicher. Die DDR-Turnerinnen und –Turner feierten ja in München eine Reihe von Medaillen-Erfolgen, ob Klaus Köste bei den Herren oder Karin Janz bzw. Erika Zuchold bei den Frauen. Die Turnerinnen und Turner hatten ja unterschiedliche Wettkampf-Zeiten, so dass die Mädel uns und wir die Mädel anfeuern konnten.
Mein Trainer in Potsdam, Werner Schenk, saß ebenfalls im Publikum und machte Stimmung für uns.

Frage: Die Turnwettkämpfe 1972 wurden durch die Japaner, allen voran Sawao Kato, durch die UdSSR-Turnerinnen mit der Tschetschenin Ljudmilla Turischtschewa und mit dem „Spatz von Grodno“ Olga Korbut, durch die DDR-Teams, durch die US-Amerikanerin Cathy Rigby und durch den Russen Nikolai Andrianow geprägt. Wer beeindrucke Sie damals persönlich?

Reinhard Rychly: Sehr beeindruckt war ich vom sowjetischen Turner Nikolai Andrianow. Er zeigte sehr schwierige Programme, turnte mit sehr viel Eleganz und einer großen Leichtigkeit. Ich kannte ihn bereits von Nachwuchs-Wettbewerben. So erlebte ich Nikolai vor München bereits bei den Jugend-Wettkämpfen der Freundschaft in Moskau und bei einem Turn-Länderkampf. Ein wirklich erstaunlicher Turner.
Ansonsten bewiesen ja die Japaner ihre große Klasse, ob Sawao Kato, Mitsuo Tsukahara oder Akinori Nakayama. Bei den Frauen imponierten Olga Korbut aus der UdSSR und unsere Karin Janz.

Letzte Frage: Sie sind Sportlehrer am Christophorus-Gymnasium in Rostock. Wie fit ist die heutige Jugend eigentlich? Die heute Heranwachsenden gelten ja insgesamt nicht gerade als sportlich … Nur ein Gerücht oder ist es tatsächlich so? Gibt es Talente bei Ihnen, von denen Sie sagen können: Die oder der könnten es in die Weltspitze schaffen …

Reinhard Rychly: Nein, das ist leider kein Gerücht. Das Leistungsvermögen und die Leistungsbereitschaften im Schulsport entwickelten sich in den letzten Jahren negativ. Man muß schon bei der Bewertung einiger Leistungen Abstriche machen, das, was früher ein „Gut“ war, ist heute bereits ein „Sehr gut“, und mit „früher“ meine ich gerade auch noch die 1990er Jahre.

Wir bieten ja seit Jahren auch Arbeitsgemeinschaften zu den verschiedenen Sportarten an, aber auch hier wird die Resonanz geringer. Ansonsten gibt es natürlich schon immer wieder herausragende Talente, so bei den Ruderinnen und Ruderer – hier unter anderem die Junioren-Weltmeisterin Wiebke Hein – bei den Fußballspielern, bei den Handball-Spielern, bei den Leichtathleten oder bei den Short Trackern.
Aber insgesamt ist das Leistungsniveau im Schulsport nicht mehr so hoch, wie einige Jahre zuvor. Hier sind aber alle gefordert, dem entgegenzusteuern … Trotz allem: Positive Beispiele, wie die erwähnten, gibt es ja durchaus!

Dann weiterhin beste Gesundheit und maximale Erfolge!

Exkurs: Erfolgreiche Münchener Spiele aus M-V-Sicht !

Die Olympischen Spiele 1972 in München waren ohnehin sehr erfolgreiche Spiele für die Sportlerinnen und Sportler aus Mecklenburg.

Goldene Momente gab es dabei für zwei gebürtige Rostocker. Der Ruderer Siegfried Brietzke wurde Olympiasieger im Zweier ohne und das Bahnradsport-Ass Günther Schumacher konnte mit dem bundesdeutschen Bahn-Vierer ebenfalls Olympia-Gold erkämpfen.

Silber errangen der Ringer Heinz-Helmut Wehling (ASK Vorwärts Rostock) im griechisch-römischen Stil in der Gewichtsklasse bis 62 kg, der Schwimmer Klaus Katzur (ASK Vorwärts Rostock) mit der DDR-4×100 Meter-Staffel, die Segler Paul Borowski, Karl-Heinz Thun sowie Konrad Weichert (SC Empor Rostock) in der Drachen-Klasse, die Turnerin Christine Schmitt (Rostock) mit der DDR-Frauen-Mannschaft, die Volleyballspieler Horst Hagen (bis 1969 SC Traktor Schwerin) und Wolfgang Maibohm (SC Traktor Schwerin) mit der DDR-Herren-Auswahl und die Ruderer Reinhard Gust (gebürtiger Rostocker) sowie Eckhard Martens (gebürtiger Bützower) im Vierer mit.

Bronze holten sich `72 neben dem Turner Reinhard Rychly auch der Fußball-Spieler Joachim Streich (FC Hansa Rostock und in Wismar geboren) mit der DDR-Mannschaft und der Ruderer Manfred Schneider (Vor 70 Jahren, 1941 in Schwerin, geboren!) mit dem DDR-Achter.

Auch Leichtathletinnen und Leichtathleten, die „Bindungen“ zur M-V hatten, waren 1972 erfolgreich. Ruth Fuchs, die die Kinder- und Jugendsportschule in Güstrow besuchte, wurde Olympiasiegerin im Speerwerfen und Jörg Drehmel, der in Trantow bei Demmin „seine Wiege“ hatte, erkämpfte in München Olympia-Silber im Dreisprung.

– Statistisches zu den olympischen Turn-Wettbewerben 1972

Medaillenspiegel / Turnen / Herren

Land-Gold-Silber-Bronze

1.Japan: 5-5-6
2.UdSSR: 2-3-1
3.DDR: 1-0-1

Olympiasieger

Mehrkampf: Sawao Kato (Japan) / Team: Japan / Boden: Nikolai Andrianow (UdSSR) / Seitpferd: Wiktor Klimenko (UdSSR) / Ringe: Akinori Nakayama (Japan) / Pferdsprung: Klaus Köste (DDR) / Barren. Sawao Kato (Japan) / Reck: Mitsuo Tsukahara (Japan)

Folgende Besetzung hatte die DDR-Riege (Herren), die Bronze erkämpfte: Klaus Köste, Matthias Brehme, Wolfgang Thüne, Wolfgang Klotz, Reinhard Rychly und Jürgen Paeke.

Medaillenspiegel / Turnen / Frauen

1.UdSSR: 4-3-3
2.DDR: 2-4-1
3.Ungarn: 0-0-1

Olympiasiegerinnen

Mehrkampf: Ljudmilla Turischtschewa (UdSSR) / Team: Sowjetunion / Pferdsprung: Karin Janz (DDR) / Schwebebalken: Olga Korbut (UdSSR) / Stufenbarren: Karin Janz (DDR) / Boden: Olga Korbut (UdSSR)

Folgende Besetzung hatte die DDR-Riege (Frauen), die Silber erkämpfte: Karin Janz, Erika Zuchold, Angelika Hellmann, Irene Abel, Christine Schmitt und Ricarda Schmeißer.

Die besten Turner und Turnerinnen 1972 in München …

Herren: Sawao Kato (Japan) – 3 x Gold / 2 x Silber
Frauen: Olga Korbut (UdSSR) – 3 x Gold / 1 x Silber
Aus deutscher, aus DDR-Sicht …

Herren: Klaus Köste – 1 x Gold / 1 x Bronze
Frauen: Karin Janz – 2 x Gold / 2 x Silber / 1 x Bronze

– Weitere Infos zum olympischen Turnsport aus M-V-Blickwinkel –

M-V und das Turnen

Den Medaillen-Anfang machte 1968 die gebürtige Rostockerin Marianne Noack, die 1968 mit der DDR-Riege Olympia-Bronze in Mexiko-City gewann und bei den WM 1970 Silber mit der Mannschaft erkämpfte. Die ebenfalls in Rostock geborene Christine Schmitt, Jahrgang 1953, gehörte 1968 als Ersatz-Turnerin zur olympischen DDR-Turnauswahl. Ihren endgültigen internationalen Durchbruch feierte sie mit WM-Bronze auf dem Schwebebalken 1970.

Mit der Mannschaft holte Christine Schmitt an der Seite von Marianne Noack zudem Silber. Höhepunkt ihrer Karriere war dann noch Olympia-Silber mit der Mannschaft bei Olympia 1972 in München. In München 1972 gewann der Rostocker Reinhard Rychly ebenfalls eine olympische Turn-Medaille. Mit der DDR-Mannschaft errang er Bronze hinter Japan und der Sowjetunion.

Die Hoffmann-Brüder Lutz und Ulf – mit “Neustrelitzer Wurzeln” – setzten die internationalen Erfolge im Kunstturnsport für M-V 1980 bis 1988 fort: Bei den Olympischen Spielen erturnte Lutz Hoffmann mit der DDR-Riege den 2. Platz. Sein jüngerer Bruder Ulf war dreimal auf einem Olympia- bzw. WM-Podest. Jeweils mit den DDR-Teams belegte er bei den WM 1985 und 1987 den Bronze-Rang; bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul gab es sogar Silber.

Drei weitere Turnerinnen aus Rostock konnten ebenfalls an olympischen Wettkämpfen teilnehmen: Christine Thoms, die Ersatz-Turnerin bei den Spielen 1988 in Seoul war als die DDR-Riege Dritte wurde, Kathleen Kern-Stark, die 1992 und 1996 für den DTB startete und Jana Günther, die 1992 olympisch turnte.

Zudem war die gebürtige Neubrandenburgerin Yvonne Pioch Teilnehmerin an den olympischen Turn-Wettkämpfen 1992. Und die gebürtige Ludwigslusterin Brigitte Kiesler turnte 1952 als Mitglied der westdeutschen Riege bei den Olympischen Spielen in Helsinki.

Marko Michels – 11/2011

Der Turnsport 2014

Vor Jahresfrist, 2014, ging es – global betrachtet – turnsportlich ebenfalls abwechslungsreich zu, bei den Olympischen Jugend-Spielen in Nanjing und den Weltmeisterschaften in Nanning.

Zwischen Nanjing und Nanning

Im Sommer, bei den Jugend-Spielen in Nanjing, sammelte insbesondere eine Troika fleißig Turn-Gold. Bei den jungen Herren präsentierten sich Giarnni Regini-Moran aus Großbritannien (3 x Gold, 2 x Bronze), Nikita Nagorni aus Russland (3 x Gold, 1 x Silber, 1 x Bronze) und Seda Tutkaljan aus Russland (2 x Gold) in ausgezeichneter Form.

Und auch in Nanning, bei den WM, gehörten die Turnerinnen und Turner aus Russland mit sechs Medaillen, davon einmal Gold, zu den Besten. Besser waren nur die USA mit zehn Medaillen, davon viermal Gold, China mit sieben Medaillen, davon dreimal Gold, und Japan mit sechsmal Edelmetall, darunter einmal Gold. Die Amerikanerin Simone Biles begeisterte bei den Welttitelkämpfen mit vier Titeln. Bei den Herren ging der Mehrkampf-Erfolg wieder einmal an Kohei Uchimura aus Japan.

Und: Wie war das noch bei Olympia 2012?!

Die olympischen Turn-Wettkämpfe in London

Die olympischen Turn-Wettkämpfe in London beeindruckten vor drei Jahren ebenfalls – bei prächtiger Stimmung, klasse Olympionikinnen und Olympioniken aller Kontinente und Turn-Übungen auf höchstem Niveau.

Die Mehrkampf-Finals gewannen die Amerikanerin Gabrielle Douglas und der Japan Kohei Uchimura. Die US-Frauen und die chinesischen Männer stellten in London die stärksten Riegen.

Turn-Deutschland durfte ebenfalls jubeln. So gab es jeweils Silber für Marcel Nguyen im Mehrkampf-Finale und am Barren. Fabian Hambüchen belegte Platz zwei am Reck. Die deutschen Männer wurden immerhin Siebenter und Marcel Nguyen schaffte zudem Platz 8 am Boden.

Die deutschen Mädel beeindruckten insbesondere bei ihren Vorstellungen in den Finals am Stufenbarren und beim Sprung. Am Stufenbarren imponierte Elisabeth Seitz mit Platz sechs. Höchst unglücklich verfehlte Janine Berger die Bronzemedaille beim Sprung. Die junge Janine erreichte dort 15,016 Punkte – ganz knapp hinter der Russin Maria Paseka, die letztendlich 15,050 Punkte aufwies. Oksana Tschusowitina, die Zweite von 2008, wurde hinter Janine Fünfte.

Bei den Turn-Herren konnten 22 Länder eine Platzierung unter den besten Acht erreichen, bei den Turn-Frauen waren es 11 Länder – ein Beweis dafür, wie beliebt der Turnsport weltweit ist.

Mal schauen, welche Ergebnisse die WM 2015 in Glasgow und dann die Olympischen Spiele 2016 in Rio mit sich bringen werden.

Marko Michels

Foto/Michels: Der Turnsport wird auch in M-V zelebriert.


Ähnliche Beiträge