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Zwischen Glasgow 2015 und Rio 2016: Der Turnsport

Deutsche WM-Bilanz 2015: einmal Bronze…


Der Turnsport begeisterte in diesem Jahr wahrlich, ob bei den EM in Montpellier, bei den Europaspielen in Baku, bei den Panamerican Games in Toronto oder aktuell, vom 23.Oktober bis 1.November, bei den WM in Glasgow. Neun Monate vor den olympischen Wettkämpfen in Rio waren die Großereignisse des Jahres 2015 eine wichtige sportliche Standortbestimmung vor den „Olympics 2016“.

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London 2012 im Rückspiegel

Bereits bei den olympischen Entscheidungen vor vier Jahren, 2012 in London, waren die Turn-Wettkämpfe angesichts herausragender Leistungen der Athletinnen und Athleten ein Zuschauer-Magnet. London`12 bot seinerzeit Turnkunst und Turnsport der Extraklasse. Die Mehrkampf-Finals gewannen die Amerikanerin Gabrielle Douglas und der Japan Kohei Uchimura. Die US-Frauen und die chinesischen Männer stellten in London die stärksten Riegen.

Für Deutschland gab es großartige Erfolge. So gab es jeweils Silber für Marcel Nguyen im Mehrkampf-Finale und am Barren. Fabian Hambüchen belegte Platz zwei am Reck. Die deutschen Männer wurden immerhin Siebenter und Marcel Nguyen schaffte zudem Platz 8 am Boden.

Die deutschen Mädel beeindruckten insbesondere bei ihren Vorstellungen in den Finals am Stufenbarren und beim Sprung. Am Stufenbarren imponierte Elisabeth Seitz mit Platz sechs. Höchst unglücklich verfehlte Janine Berger die Bronzemedaille beim Sprung. Die junge Janine erreichte dort 15,016 Punkte – ganz knapp hinter der Russin Maria Paseka, die letztendlich 15,050 Punkte aufwies. Oksana Tschusowitina, die Zweite von 2008, wurde hinter Janine Fünfte.

Bei den Turn-Herren konnten 22 Länder eine Platzierung unter den besten Acht erreichen, bei den Turn-Frauen waren es 11 Länder – ein Beweis dafür, wie beliebt der Turnsport weltweit ist. Das war, wie erwähnt, vor vier Jahren…

Drei Jahre nach London…

Wie sieht es aber drei Jahre später aus?! Welche Turnerinnen und Turner konnten bei den kontinentalen Konkurrenzen und WM mit herausragenden Leistungen brillieren?!

EM 2015 in Montpellier mit russischen und britischen Erfolgen / Ukrainer und Schweizerin mit Einzel-Mehrkampf-Gold

Bei den EM in Montpellier im Frühjahr setzten insbesondere die Teams aus Russland (viermal Gold, fünfmal Silber, einmal Bronze) und Großbritannien, dessen Turnsport sich seit den Spielen im eigenen Land in einem enormen Aufwind befindet. Die Britinnen und Briten erturnten bei den EM 2015 zweimal Gold, viermal Silber, zweimal Bronze. Die Titel für den Vereinigte Königreich gingen an Kristian Thomas am Boden und Louis Smith am Seitpferd.

Im Mehrkampf der Frauen beeindruckte in Montpellier allerdings eine Eidgenossin: Giulia Steingruber setzte sich vor Maria Charenkowa (Russland) und Ellie Downie (Großbritannien) durch. Ein Ukrainer, Oleg Wernjakew, war hingegen im Mehrkampf der Herren der Beste. Einen weiteren Titel gab es für ihn am Barren.
Die erfolgreichste Turn-Nation der EM-Geschichte, Russland, jubelte bei den europäischen Titelkämpfen in Frankreich ebenfalls: bei den Herren durch Nikita Nagorni beim Sprung und bei den Frauen durch Maria Paseka ebenfalls im Sprung, Daria Spiridonowa am Stufenbarren und durch Ksenija Afanasjewa am Boden.

Russland bei Europaspielen im Turnen die Top-Nation

Im Juni, bei den Wettkämpfen der Europaspiele in Baku, bei denen nicht nur, aber vor allem Nachwuchs-Turnerinnen und -Turner eine Teilnahme-Chance erhielten, war wiederum Russland mit viermal Gold, viermal Silber, dreimal Bronze am erfolgreichsten. Die überragende Turnerin kam ebenfalls aus Russland: Alija Mustafina konnte über Gold mit dem Team, im Einzel-Mehrkampf und am Stufenbarren jubeln. Die Schweizerin Giulia Steingruber beeindruckte aber gleichfalls: Gold am Boden und beim Sprung, Silber im Einzel-Mehrkampf und Bronze am Schwebebalken.

Der Ukrainer Oleg Wernjajew, der schon in Montpellier, wie erwähnt, große Klasse war, gewann in Baku ebenfalls den Einzel-Mehrkampf und beim Sprung.

Das deutsche Turn-Team konnte in Baku auch überzeugen. Hinter Russland wurden die deutschen Frauen mit Leah Grießer, Sophie Scheder und Elisabeth Seitz, Zweite. Am Stufenbarren wurde Sophie Scheder ebenfalls Zweite und verpasste hinter der Niederländerin Lieke Wevers (Niederlande) im Einzel-Mehrkampf der Frauen Bronze nur knapp. Gold und Silber erkämpfte Fabian Hambüchen in der aserbaidschanischen Hauptstadt: Gold am Reck und Silber am Boden. Im Team-Wettkampf der Herren belegte Deutschland Rang fünf.

Weitere kontinentale Meisterschaften im Blickfeld

Das ändert aber nichts daran, dass Russland und Großbritannien die derzeit führenden Turn-Nationen in Europa sind. Schon bei den Wettkämpfen der „Commonwealth Games“ 2014 in Glasgow bestätigten die Britinnen und Briten ihren turnsportlichen Aufwärtstrend. Die Siege erkämpften vor einem Jahr England (neun), Kanada (drei) und Schottland (zwei). Die erfolgreichste Turnerin war in Glasgow 2014 Claudia Fragapane (England / viermal Gold, mit dem englischen Team, im Einzel-Mehrkampf, beim Sprung sowie am Boden), zum erfolgreichsten Turner avancierte Max Whitlock (England / dreimal Gold, mit dem enlischen Team, im Einzel-Mehrkampf und am Boden).

Doch Europa ist im globalen Turnsport längst nicht allein das „Maß aller Dinge“. Im Gegenteil, gerade Japan, China, Südkorea, die USA und Brasilien bei den Herren und die USA, China, Nordkorea oder Kanada bei den Frauen sind längst führend oder durchbrachen die einstige europäische Turn-Erfolgs-Bilanz in den letzten Jahren.

Bei den letzten kontinentalen Meisterschaften in Asien (Asien-Spiele 2014 in Incheon) und im Amerika (Panamerican Games 2015 in Toronto) sah das Kräfteverhältnis folgendermaßen aus: China heimste mit siebenmal Gold die meisten Titel vor Japan (vier), Nordkorea (zwei) und Hongkong (einen) ein. Der Japaner Yuya Kamoto kam zu Gold im Team-Wettbewerb, im Einzel-Mehrkampf und am Barren; die Chinesin Yao Jinnan triumphierte mit dem chinesischen Team, im Einzel-Mehrkampf, am Reck und am Boden. Japans Herren setzten sich vor Südkorea sowie China durch und Chinas Damen vor Nordkorea und Japan.

In Toronto, bei den Panamerican Games 2015, verteilten sich die Siege auf die USA (fünf), Kanada (drei), Kolumbien (drei), Kuba (zwei), Guatemala (einen) und Brasilien (einen).

Im Einzel-Mehrkampf der Herren belegte Sam Mikulak aus den USA Rang eins vor dem Kubaner Manrique Larduet. Bei den Frauen, im dortigen Einzel-Mehrkampf, schaffte die Kanadierin Ellie Black Rang eins, die sich auch am Schwebebalken und am Boden durchsetzte. Beide Team-Wettbewerbe, bei den Herren und den Damen, waren „eine Angelegenheit“ der USA. Der erfolgreichste Turner in Toronto 2015 kam aus Kolumbien: Jossimar Calvo wurde die Nummer eins am Seitpferd, am Barren und am Reck, dazu Bronze im Einzel-Mehrkampf und mit dem kolumbianischen Team.

Kontinentaler Dreikampf bei den Turn-WM 2015

Der Dreikampf Europa-Asien-Amerika versprach auch für die aktuellen Weltmeisterschaften im Geräte-Turnen größte Spannung, bestes Niveau und viel Resonanz.

Und… Wie ging der kontinentale Dreikampf bei den WM 2015 in Glasgow nun aus?! Asien erkämpfte die „Pole Position“ mit 17 Medaillen, darunter 7 x Gold, vor Europa mit 16 Medaillen, darunter 5 x Gold, und dem amerikanischen Doppel-Kontinent mit 12 Medaillen, darunter 5 x Gold. Also, es ging – kontinental betrachtet – „sehr eng“ zu…

Überragend war wieder einmal Japans Kohei Uchimura, der nach 2009, 2010, 2011, 2013, 2014 und 2015 seinen sechsten WM-Titel im Einzel-Mehrkampf der Herren „holte“. In London 2012 hatte Kohei Uchimura dort auch Gold gewonnen. Auch am Reck gab es 2015 goldene WM-Momente für Kohei Uchimura, der auch den WM-Sieg 2015 mit der japanischen Mannschaft errang. Sein Landsmann Kenzo Shirai distanzierte zudem die Konkurrenz am Boden.

Japan bei den Herren die Nummer eins, die USA bei den Frauen

Ist Japan gegenwärtig die Nummer eins im globalen Herren-Turnsport, so sind die US-Amerikanerinnen derzeit die Allerbesten im Frauen-Turnsport. Simone Biles erturnte ihren dritten WM-Titel im Einzel-Mehrkampf der Frauen und freute sich außerdem über Gold mit dem US-Team, am Schwebebalken und am Boden.

Über WM-Goldmedaillen in Glasgow 2015 jubelten ebenfalls Großbritannien(durch Max Whitlock am Seitpferd), Griechenland (durch Eleftherios Petrounias an den Ringen), Nordkorea (durch Ri Se-gwang beim Sprung), China (unter anderem durch You Hao am Barren) und Russland (unter anderem durch Maria Paseka beim Sprung).

Für einen „Titel-Regen“ beim Stufenbarren-Wettbewerb der Frauen sorgten Fan Yilin (China), Viktoria Komova (Russland), Daria Spiridonowa (Russland) und Madison Kocian (USA), die punktgleich Weltmeisterinnen an diesem Gerät wurden.

Bronze für Deutschlands Pauline Schäfer

Dank Pauline Schäfer ging die deutsche WM-Turn-Mannschaft 2015 nicht leer aus: Die 1997 im saarländischen Dudweiler geborene Turnerin überraschte mit Bronze am Schwebebalken – hinter der US-Amerikanerin Simone Biles und der Niederländerin Sanne Wevers. An dem Gerät hatte bereits vor 45 Jahren eine Rostockerin für Furore gesorgt…

Gesamt betrachtet wurden die USA in Glasgow 2015 die erfolgreichste Nation mit 5 x Gold, 2 x Silber, 3 x Bronze, vor Japan mit 4 x Gold, 1 x Bronze, Russland mit 3 x Gold, 1 x Silber, China mit 2 x Gold, 2 x Silber, 4 x Bronze und Großbritannien mit 1 x Gold, 3 x Silber, 1 x Bronze.

Trotz der WM-Bronzemedaille für Pauline Schäfer ist das WM-Abschneiden der deutschen Turn-Mannschaft schon eine riesige Enttäuschung. Noch haben aber sowohl das Frauen-Team als auch das Herren-Team die Chance, sich für Rio 2016 zu qualifizieren. Was möglich sein kann, bewies eine achtzehnjährige Saarländerin in Glasgow…

M-V – ein Turn-Land mit WM- und Olympia-Tradition

Zwar war keine Turnerin und kein Turner aus M-V bei den WM 2015 dabei, aber das Geräte-Turnen hat hierzulande natürlich auch eine große Tradition und aktuell ebenfalls einigen Zuspruch.

Im Landesturnverband M-V sind aktuell 145 Vereine mit rund 20000 Mitgliedern organisiert, die Sportarten wie Geräte-Turnen, Faustball, Orientierungslaufen, Rhönrad-Turnen, Trampolin-Turnen, Sportakrobatik, Gymnastik oder Rope Skipping anbieten bzw. präsentieren.

Und globale Medaillen erkämpften Turnerinnen und Turner aus M-V ebenfalls schon: Den Medaillen-Anfang machte 1968 die gebürtige Rostockerin Marianne Noack, die 1968 mit der DDR-Riege Olympia-Bronze in Mexiko-City gewann und bei den WM 1970 Silber mit der Mannschaft erkämpfte. Die ebenfalls in Rostock geborene Christine Schmitt, Jahrgang 1953, gehörte 1968 als Ersatz-Turnerin zur olympischen DDR-Turnauswahl.

Ihren endgültigen internationalen Durchbruch feierte sie mit WM-Bronze auf dem Schwebebalken 1970 – dem Gerät, auf dem Pauline Schäfer 2015 so glänzte. Damals siegte Erika Zuchold vom SC Leipzig vor Cathy Rigby aus den USA und der Russin Larisa Petrik, die gemeinsam mit Christine Schmitt Rang drei belegte.

Mit der Mannschaft holte Christine Schmitt an der Seite von Marianne Noack zudem Silber. Höhepunkt ihrer Karriere war dann noch Olympia-Silber mit der Mannschaft bei Olympia 1972 in München. In München 1972 gewann der Rostocker Reinhard Rychly ebenfalls eine olympische Turn-Medaille. Mit der DDR-Mannschaft errang er Bronze hinter Japan und der Sowjetunion.

Die Hoffmann-Brüder Lutz und Ulf – mit “Neustrelitzer Wurzeln” – setzten die internationalen Erfolge im Kunstturnsport für M-V 1980 bis 1988 fort: Bei den Olympischen Spielen erturnte Lutz Hoffmann mit der DDR-Riege den 2. Platz. Sein jüngerer Bruder Ulf war dreimal auf einem Olympia- bzw. WM-Podest. Jeweils mit den DDR-Teams belegte er bei den WM 1985 und 1987 den Bronze-Rang; bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul gab es sogar Silber.

Eine Bronze-Medaille errang zudem Christine Thoms (SC Empor Rostock), die Ersatz-Turnerin bei den Spielen 1988 in Seoul war, als die DDR-Riege Dritte hinter der Sowjetunion sowie Rumänien bzw. knapp vor den USA wurde.

Aber nun sind die Blicke auf die olympischen Turn-Wettkämpfe in neun Monaten in Rio gerichtet… In neun Monaten kann bekanntlich viel passieren!

Marko Michels

Foto/Michels: Ein schwieriges Gerät… Der Schwebebalken.


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