Vor 25 Jahren starb Willy Brandt
Brandt, Kohl und Genscher Wegbereiter der politischen Einheit …
In diesem Jahr 2017 jährt sich der Todestag von Willy Brandt zum 25.Mal. Der nach Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger vierte deutsche Bundeskanzler starb am 8.Oktober 1992 im Alter von 78 Jahren.
Die deutsche Einheit … Wieder wurde und wird sich, gerade in Zeiten von Bundestagswahlkämpfen, mehr oder minder heftig darüber gestritten, wer nun den größeren Anteil an den beiden Ereignissen hat. Die CDU mit dem „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl, die SPD mit Willy Brandt, mit dem Architekten der Ostpolitik, die auf das friedliche Überwinden von Mauer und Stacheldraht zielte, oder die F.D.P. mit den damaligen Außenministern sowie Vize-Kanzlern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher, die die genannte Ostpolitik unter den Kanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl mit trugen bzw. engagiert fortführten und zu einem erfolgreichen Ergebnis brachten!?
Einige Parteisoldaten der verschiedenen politischen Farben werden diese Diskussion wieder mit althergebrachtem Kleinmut führen, wobei die Fronten längst nicht mehr so verhärtet sind, wie noch Ende der 1990er Jahre.
Wende-Zeit – Wessen Verdienst?!
Die Akteure der Bundesrepublik in der Wende-Zeit wurden werden in den Mittelpunkt gestellt, dazu noch Georg Bush, als damaliger US-Präsident und natürlich Michail Gorbatschow, der mit seiner Politik von „Glasnost und Perestroika“ die friedlichen Revolutionen gegen die stalinistischen bzw. pro-stalinistischen Regime in aller Welt, insbesondere im Mittel- und Osteuropa, erst ermöglichte.
Vergessen werden dabei die Menschen zwischen Ostseeküste und Sächsischer Schweiz, die mehrheitlich das DDR-Regime ablehnten, die zu den Ersten gehörten, die sich gegen die stalinistischen Machthaber erhoben.
Erinnert wird zu Recht an die Tausenden sozialen, konservativen und liberalen Demokraten, die – weil sie sich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzten – von den neuen kommunistischen Machthabern und den Vertretern der russischen Militäradministration bereits 1945 wieder in die Gefängnisse gesperrt wurden, in denen sie schon während der nationalsozialistischen Diktatur waren.
Erinnert wird ebenfalls an jene Kommunisten und Sozialisten, die einen diktatorischen Sozialismus verneinten und auch inhaftiert oder sogar ermordet wurden.
Viele Sozialdemokraten wurden verfolgt und sogar ermordet, weil sie sich einer Vereinigung mit der KPD widersetzten. … Die jedoch den Kampf gegen die „Diktatur des Proletariates“ mit Hilfe des SPD-Ostbüros, der gesamtdeutschen sozialdemokratischen Widerstandsbewegung gegen das DDR-Regime, fortsetzten. Der „Sozialdemokratismus“ war in den Augen führender SED-Vertreter der Hauptfeind, die „soziale Speerspitze des Imperialismus“.
Der Widerstand in der DDR bleibt „außen vor“…
Gegenwärtig werden Solidarnosc in Polen, Charta 77 in der CSSR, die Gulasch-Kommunisten in Ungarn als Wegbereiter der deutschen Einheit dargestellt.
Die Vertreter der Bürgerbewegungen NEUES FORUM, Demokratie Jetzt und der Initiative für Frieden und Menschenrechte geraten so medial und historisch ins „Abseits“, obwohl sie die Hauptrolle bei der Beseitigung des SED-Regimes 1989/90 spielten.
Heute werden die Menschen in der DDR als mehrheitlich „nur“ opportunistisch bezeichnet, ein Umstand, der in Bezug auf Polen oder auf die CSSR nur selten gebraucht wird.
Westdeutsche Ignoranz und Bequemlichkeit
Mal abgesehen davon, dass dieses „Urteil“ nicht den Tatsachen entspricht – ansonsten hätte es nicht das Heer der Stasi-Spitzel gegeben – ist es auch ein „typisch westdeutsches“.
Allerdings: Wo blieb das Heer der Westdeutschen, um gegen die Unterdrückung der Landsleute zu demonstrieren, diejenigen die sich vor 1989 lieber an Mauer und Stacheldraht anketteten, um so auf den menschenverachtenden Charakter des DDR-Regimes aufmerksam zu machen?!
Man reiste lieber nach Spanien, Italien oder genoss französischen Wein … Keine Anklage, aber ein Hinweis, dass man im früheren West-Germanien am besten „vom hohen moralischen Ross“ absteigen sollte.
Willy Brandt und die Frage der deutschen Einheit
„Die Mauer steht gegen den Strom der Geschichte!“ und „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört !“ – treffende Zitate Willy Brandts, 1961 bzw. 1989 geäußert – fanden ihre eindrucksvolle Bestätigung 1990, mit der deutschen Vereinigung. Der vierte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und Friedensnobelpreisträger 1971 setzte ab 1966, verstärkt ab 1969 auf einen friedlichen Ausgleich zwischen Deutschen und Polen, Deutschen und Tschechen, Deutschen und Slowaken, Deutschen und Russen, Deutschen und Ungarn oder Deutschen und Deutschen.
Er musste mit den stalinistischen Machthabern in Ostberlin, Moskau, Warschau oder Prag verhandeln, nicht um die (bundes-)deutsche Regierung mit den stalinistischen Regierungen der jeweiligen Ostblock-Länder zu versöhnen, sondern um Freundschaften zwischen dem deutschen Volk mit den polnischen, russischen oder tschechischen Völkern zu befördern.
Willy Brandt war sowohl Antifaschist als auch Antikommunist, der bewusst anmahnte: „Man kann nicht Antifaschist sein, ohne gleichzeitig Antikommunist zu sein. Antifaschismus und Antikommunismus schlißen einander ein, nicht aus …“
Er setzte auf das friedliche Überwinden des „eisernen Vorhangs“ in Europa, auf das friedliche Überwinden von Mauer und Stacheldraht innerhalb Deutschlands. Durch seine „neue Ostpolitik“ machte Brandt Mauer und Stacheldraht innerhalb Deutschlands kontinuierlich durchlässiger, sorgte für eine zunehmende Reisefreiheit auch der Ostdeutschen, mahnte die Freilassung politischer Häftlinge in der DDR erfolgreich an und versuchte über Vertragspolitik die Machtverhältnisse in Ostberlin und in Moskau zu ändern.
Brandt glaubte an die deutsche Einheit
Willy Brandt glaubte stets an die deutsche Vereinigung, allerdings nicht an eine „Wiedervereinigung“ mit den deutschen Ostgebieten, die nach 1945 unter polnischer und tschechischer Verwaltung standen. Er erkannte den Nachkriegs-Zustand nicht an, was weder eine west- noch ostdeutsche Regierung konnte, er respektierte die Grenzen jedoch und deren Unverletzlichkeit. Für ihn blieb die deutsche Einheit, das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten unter demokratischen Vorzeichen jedoch immer das politische Ziel.
So dokumentiert „der Brief zur deutschen Einheit“ – zum Moskauer Vertrag 1970 – diese Zielsetzung: „Im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.“ (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 12. August 1970, Nr. 107, S. 1057-1058 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Vertragsarchiv)
Der DDR-Außenminister Otto Winzer (SED) meinte daher zur Ostpolitik Willy Brandts in den 1970er Jahren, dass diese „eine Aggression auf Filzpantoffeln sei“. „Weder Brandt noch Strauß (bayrischer Ministerpräsident- red. Anm.) seien für die DDR, beide wollen die Abschaffung des DDR-Sozialismus.“
SPD auf Abwegen
Leider stand Willy Brandt mit beiden Positionen – gerade in den 1980er Jahren – in seiner Partei zunehmend allein. Die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl/Hans-Dietrich Genscher war es letztendlich vorbehalten, die deutsche Einheit politisch zu vollenden – mit großem diplomatischen Geschick und tatkräftigen außenpolitischen Engagement. Willy Brandt bleibt jedoch der Verdienst, wie seinem Nachfolger Helmut Schmidt, diesen Einigungsprozess, auch auf europäischer Ebene, maßgeblich eingeleitet zu haben.
Unvergessener Mahner
Unvergessen bleibt auch die Mahnung von Willy Brandt, der in der Wendezeit auch zu Gast in Schwerin war – vor dem Hintergrund des untergegangenen Sowjet-Imperiums: „Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an. Vergessen wir nie: Wer Unrecht lange gewähren läßt, bahnt dem nächsten den Weg!“
Das gilt für die „kleine“, wie für die „große Politik“ …
Dr. Marko Michels