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Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“

Neu erschienen! 17. aktualisierte Auflage der Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ (1993 – 2009)

Die Dokumentation zeigt in über 5000 Einzel­geschehnissen die Auswirkungen des staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus auf die betroffenen Flüchtlinge. Auf Menschen, die in der BRD Schutz und Sicherheit suchten und aufgrund der rassistischen Sondergesetze und des Rassismus der Gesellschaft körperlich zu Schaden kamen.

Anhand der vielen Einzelbeispiele wird deutlich, mit welcher Gewalt die gesetzlichen Vorgaben von Behörden, Gerich­ten, Polizei, medizinischem Personal und anderen umgesetzt werden und mit wieviel Willkür und Menschenverachtung Flüchtlinge gequält, schikaniert und oft in Suizide oder zu Selbstverletzungen getrieben werden. Erpressung, Schikanen und Betrug, aber auch Sippenhaftung, Familientrennungen oder Inhaftierung Minderjähriger sind einige Mittel des Staates und seiner willfährigen MitarbeiterInnen, um Flüchtlinge zur „freiwilligen“ Ausreise zu zwingen.

Die Auswirkungen auf die Betroffenen sind verheerend. Das Leben in der Warteschleife (Unterbringung in Flüchtlings­lagern, Arbeitsverbot, Residenzpflicht usw.), jahrelange Perspektivlosigkeit und existentielle Angst vor einer Abschiebung führen zu schweren Traumatisierungen bei den Flüchtlingen und ihren Fami­lien. Und wenn die Menschen schlichtweg zu krank sind, um sie abzuschieben, und sich kein anständiger Arzt findet, der sie flugreisefähig schreibt, dann kaufen sich die Behörden „Fit-to-fly-Ärzte“ ein. Auf Kopfgeld-Basis werden Schwerstkranke von derartigen MedizinerInnen – entgegen aller anders lautenden Gutachten – zur Abschiebung freigegeben. Da werden schon mal die Grenzen zur vorsätzlichen Kör­perverletzung überschritten und Menschen für den Flug „ruhiggespritzt“. Wie­der andere Ärzte erscheinen mit der Polizei am Krankenhausbett und lassen die Patienten zur Abschiebung hinaustragen.

Auch die Menschen, die nach langen Jahren tatsächlich einen Aufenthalt erhalten, bekommen nicht die Chance, zur Ruhe zu kommen und eine Lebensperspektive zu entwickeln. Durch sogenannte Widerrufsverfahren überprüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bleibeerlaubnisse nach spätestens drei Jahren erneut und kann sie revidieren. Nicht wenige Men­schen verlieren dadurch ihren Aufenthaltstatus oder sind erneut von Abschiebung bedroht. Während in den Jahren 2003 bis 2009 38.255 Aufenthalte (Asyl) gewährt wurden, wurde im gleichen Zeitraum bei 62.385 Menschen, die als Flüchtlinge anerkannt waren, der Status widerrufen. Die Aberken­nung des Status durch die tausendfachen Widerrufsverfahren wirft die Menschen nicht nur juristisch, sondern auch psycholo­gisch erneut auf „Null“ zurück.

Die Dokumentation umfaßt den Zeitraum vom 1.1.1993 bis 31.12.2009.

175    Flüchtlinge starben auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen, davon allein 131 an den deutschen Ost-Grenzen,

507    Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 299 an den deutschen Ost-Grenzen,

154    Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon

59    Menschen in Abschiebehaft,

858    Flüchtlinge verletzten sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) oder versuchten, sich umzubringen, davon befanden sich 509 Menschen in Abschiebehaft,

5    Flüchtlinge starben während der Abschiebung und

384    Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der Abschiebung verletzt,

31    Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland zu Tode, und

488    Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert oder kamen aufgrund ihrer schweren Erkrankungen in Lebensgefahr,

73    Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos,

14    Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen,

427    wurden durch Polizei oder Bewachungspersonal verletzt, davon 138 Flüchtlinge in Haft.

67    Flüchtlinge starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte,

786    Flüchtlinge wurden z.T. erheblich verletzt,

15    Flüchtlinge starben durch rassistische Angriffe auf der Straße und

767    Menschen wurden verletzt.

Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen seit 1993 mindestens 378 Flüchtlinge ums Leben – durch rassistische Übergriffe und Brände in Flüchtlingsunterkünften starben 82 Menschen.

Die Dokumentation umfaßt zwei Hefte (DIN A4). Beide Hefte  zusammen kosten 18 € plus 3,20 € Porto & Verpackung.
HEFT I (1993 – 2002) 10 € für 260 S.  –  HEFT II (2003 – 2009) 10 € für 260 S.-  plus je 1,60 € Porto & Verpackung.
Im Netz zur Zeit noch die 16. Auflage unter der Adresse:
www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

Auszüge aus der Dokumentation: Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen . (1993 – 2009 – 17. aktualisierte Auflage)

12. Januar 09
Bad Salzdetfurth im Bundesland Niedersachsen. In der Flüchtlingsunterkunft Am Brudersteig erscheinen um 7.15 Uhr zwei Polizeibeamte an der Tür des im dritten Stock liegenden Zimmers von Arkadin H., um ihn zur Abschiebung abzuholen. Der 27-jährige Armenier öffnet die Tür, weicht dann in die Mitte des Zimmers zurück und richtet ein 10 cm langes Klappmesser gegen seine Halsschlagader. Als die Beamten ihm näher kommen, geht er zum geöffneten Fenster und läßt sich rückwärts gleitend ins Freie fallen. Die Beamten springen nach vorne, und es gelingt ihnen, den Mann zwischen einem Fensterflügel und dem Rahmen einzuklemmen und ihn am Hosengürtel und an einem Bein zu packen. Der Armenier hängt jetzt kopfüber aus dem Giebelfenster und hält sich weiterhin das Messer an den Hals.
Erst nach längerem Zureden gibt er auf und läßt sich von den Beamten ins Zimmer zurückziehen – hält aber weiterhin das Messer an die Halsschlagader. Die Beamten rufen Verstärkung, das Areal um das Flüchtlingsheim wird abgesperrt, Feuerwehr, Rettungswagen und Notärztin erscheinen. Arkadin H. läßt sich auch durch die Gespräche nicht beeinflussen und bedroht sich weiterhin mit dem Messer. In einem Moment der Ablenkung überwältigen ihn die Beamten, nehmen ihm das Messer weg und bringen ihn ins Kommissariat nach Bad Salzdetfurth. Mit einem Funkstreifenwagen erfolgt sein Transport zum Flughafen Frankfurt am Main, von wo er um 15 Uhr in ärztlicher und polizeilicher Begleitung „unter Anwendung unmittelbaren Zwanges“ (Abschiebebeobachtung FFM) nach Moskau ausgeflogen wird. ……….

15. Januar 09
Um 8.00 Uhr morgens erscheinen vier Männer und vier Frauen an der Wohnung von Nuray Akgün in Hamburg-Veddel in der Harburger Chaussee 107. Sie geben sich als Polizisten und Behördenmitarbeiter aus – einer von ihnen ist Arzt. Sie legen eine Abschiebeanordnung vor und verbieten der kranken und suizidgefährdeten Frau Akgün zu telefonieren. Sie darf nicht alleine auf die Toilette gehen und muß sich vor den Augen aller Anwesenden um- und anziehen. Das Kofferpacken wird ihr ebenfalls verboten – das tun die Beamten und hinterlassen eine verwüstete Wohnung. Ein Betrag von 2865 Euro, den Nuray Akgün für die Operation ihres 17-jährigen Sohnes über Jahre erarbeitet und erspart hat, wird ihr – bis auf 100 Euro – als Anzahlung für die Abschiebekosten abgenommen. Dann wird sie genötigt, einen Zettel zu unterschreiben, auf dem sie sich verpflichtet, für die Restsumme der Abschiebung von mindestens 4000 Euro aufzukommen. ……….

Januar 09
Abschiebehaft in Ingelheim in Rheinland-Pfalz. Ein 28 Jahre alter Abschiebegefangener fügt sich mit einer Rasierklinge tiefe Schnittverletzungen am Hals zu, um sich das Leben zu nehmen. Der iranische Kurde kommt in die Rheinhessen-Fachklinik Alzey, und auch hier verletzt er sich, indem er sich ins linke Handgelenk schneidet. Während seiner Abschiebung am 11. Februar auf dem Transport zum Flughafen Frankfurt am Main schneidet er sich ins rechte Handgelenk. Diese neue Verletzung wird verbunden – dann erfolgt die Abschiebung in Handschellen und unter Bewachung von vier Polizisten nach Griechenland. In Athen kommt der Mann vom Flughafen direkt in die Psychiatrie, wo zunächst die Fäden der etwas älteren Wunden gezogen werden. ……….

5. März 09
Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main in Cargo City Süd, Gebäude C 587. Eine 17-jährige Asylbewerberin aus Kamerun wird wenige Tage nach ihrer Ankunft von Entscheidern des Bundesamtes (BAMF) verhört. Sie ist hochschwanger, und der heutige Tag ist ihr errechneter Niederkunftstag. In früheren insistierenden Verhören hatte sie angegeben, daß sie vergewaltigt worden sei und daß sie deshalb Kamerun verlassen mußte. Ohne Rücksicht auf die Traumatisierung und den gesundheitlichen Zustand der Minderjährigen wird ein neuer Verhörtermin – wiederum im Beisein von Männern – für den 10. März festgelegt. Allein durch das Bekanntwerden dieser Menschenrechtsverletzungen (Mutterschutz, Minderjährigenschutz, Opferschutz) lenkt das Bundesamt ein und gewährt am 10. März die „Einreise“ in die BRD. Die Frau kommt umgehend ins Krankenhaus, wo die Geburt eingeleitet werden kann. ……….

März 09

Flughafen Frankfurt am Main. Nur durch ihre strikte Weigerung kann eine Syrerin unmittelbar vor ihrer Abschiebung verhindern, daß sie mit ihren beiden Kindern und ohne den Mann ausgeflogen wird. Ihre beiden Kinder sind in Deutschland geboren und gehen hier zur Schule. Sie war mit ihren acht und zehn Jahre alten Söhnen morgens überraschend von der Polizei abgeholt worden. Ihr Mann war zur Arbeit in einer anderen Stadt. Nach dieser mißglückten Abschiebung wird der Ehemann umgehend in Abschiebehaft genommen, und einige Wochen später wird die gesamte Familie in polizeilicher Begleitung nach Damaskus abgeschoben. ……….

2. April 09
Sundern in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 5.00 Uhr stehen 20 Beamte vor der Tür und haben das Haus umstellt, denn Familie Khudinyan soll nach Armenien abgeschoben werden. Die Eheleute Melanie und David werden mit ihren drei Söhnen, dem 7-jährigen Daniel, dem 15-jährigen Johann und dem 18-jährigen Sakis zum Flughafen Frankfurt am Main gebracht. Dort verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Herrn Khudinyan so dramatisch, daß er mit dem Notarzt ins Krankenhaus kommt und die Abschiebung abgebrochen werden muß. David Khudinyan ist schwer traumatisiert, hatte schon viermal versucht, sich umzubringen, und durch die Angst vor der erneut drohenden Abschiebung war er bereits in der Landesklinik Hemer stationär behandelt worden. Im August wird David Khudinyan in einem Büro der Ausländerbehörde Meschede von dem Psychiater Dr. Müldner untersucht. Dieser – von der Ausländerbehörde aus Weinheim in Baden beauftragte – Fachmann kommt zu dem Schluß, daß Herr Khudinyan reisefähig ist und in ärztlicher Begleitung abgeschoben werden kann. Die Schlußfolgerung des Psychiaters: Im Heimatland werde sich zeigen, ob David Khudinyan überlebt oder nicht. ……….

17. April 09
Um kurz vor Mitternacht erscheint Polizei in der Psychiatrie des Klinikums Bremen Ost und holt den Patienten Mehmet T. ab, um ihn in Abschiebehaft zu nehmen. Durch den Entscheid des Haftrichters, der Mehmet T. für behandlungsbedürftig hält, kommt er am nächsten Tag wieder frei. Der Kurde ist laut Gutachten einer niedergelassenen Psychiaterin akut suizidgefährdet. Bei einem Termin in der Ausländerbehörde Mitte April erfuhr er von der Sachbearbeiterin, daß er trotz des Attestes in die Türkei abgeschoben werde. Nach nochmaligem Hinweis des Dolmetschers auf die Suizidalität von Mehmet T. entgegnete die Frau: „Dann ist er halt tot.“ Danach hatte sich der Mann selbst ins Klinikum eingewiesen. ……….

20. Mai 09
Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Am 11. Tag seines Hungerstreiks versucht der indische Gefangene S. R., sich auf seinem Bett zu strangulieren, und wird ins Haftkrankenhaus Hohenasperg verlegt. Am 25. Mai versucht er erneut, sich zu töten. ……….

26. Mai 09
Fuldatal im Bundesland Hessen. Die Besatzungen von sieben Einsatzwagen scheinen nötig, um den Rom Elvis Agusi abzuschieben.
Die Beamten kommen mitten in der Nacht, durchsuchen zunächst die Wohnung der Familie seiner Cousine, gehen dann eine Etage höher und brechen dort die Tür auf. 20 Kilogramm Gepäck darf er in Plastiktüten verstauen – dann wird er um 0.15 Uhr von Polizeibeamten hinausgeführt. Am nächsten Mittag erfolgt die Abschiebung in den Kosovo. Damit ist er von seiner Lebensgefährtin, mit der er nach Roma-Recht verheiratet ist, und seinen beiden Kindern (1½ Jahre und 3 Wochen) getrennt. Elvis Agusi war als 17-Jähriger im Jahre 1999 in Folge des Kosovo-Krieges mit seinen Eltern und Geschwistern in die BRD geflüchtet. Über Jahre durfte er als Geduldeter keine Ausbildung machen, wurde ihm die Arbeitsaufnahme erschwert. Inzwischen hatte er eine Arbeitsstelle in einem LKW-Waschbetrieb und verdiente monatlich 1200 Euro, so daß er für den Unterhalt der Familie – mit dem ihr zustehenden Kindergeld – ohne staatliche Zuwendung aufkommen konnte. Um mit Hilfe der Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge einen Aufenthalt zu bekommen, war er 82 Tage zu spät nach dem gesetzlichen Stichtag nach Deutschland gekommen. ……….

4. Juni 09
Wolfenbüttel in Niedersachsen. Ohne Vorankündigung erscheinen um drei Uhr morgens Polizisten an der Wohnung von Alviera Gashi, um sie mit ihrem vierjährigen Sohn Djafer und ihrer dreijährigen Tochter Tuna zur Abschiebung abzuholen. Die 21-jährige Romni, die seit 20 Jahren (!) in der BRD lebt, bekommt eine halbe Stunde Zeit, die Sachen zu packen. Geld, Essen und Trinken vergißt sie in dieser Angstsituation. Die Familie wird nach Frankfurt am Main gebracht, von wo um 10.15 Uhr die Maschine in den Kosovo startet. Im Flugzeug befindet sich auch der ehemalige Lebensgefährte von Frau Gashi, der ebenfalls abgeschoben wird. Er ist der Vater ihrer Kinder und bedroht Alviera Gashi, ihre Mutter und ihre Schwester seit langem. Er hat Frau Gashi und auch ihre Eltern in der Vergangenheit geschlagen, getreten und mit dem Messer attackiert. Das Amtsgericht Wolfenbüttel erließ daraufhin im Dezember 2007 per einstweiliger Verfügung die Auflage, daß der Mann sich den Frauen nicht mehr als 50 Meter nähern dürfe. An diese Auflage hat sich der Gewalttäter nie gehalten – was auch der Ausländerbehörde durch die Berichte der Frauen bekannt ist. Schon am Flughafen in Prishtina fordert der Mann Alviera Gashi auf, mit ihm in der Stadt zu bleiben. Er bedroht sie mit den Worten, daß sie ja wisse, was sie mit ihm erlebt habe. ………

13. Juni 09

Bundesland Hessen. Während des einstündigen Hofganges zwischen 11 und 12 Uhr gelingt es dem 26-jährigen Abschiebegefangenen Lyes B., aus der JVA-Frankfurt I (Preungesheim) zu flüchten. Die eingeleitete Großfahndung mit zwölf Streifenwagen, Hunden, Überfallkommando und Hubschrauber bleibt für die Polizei ergebnislos. Der Algerier hat sich bei der Flucht über ein Baugerüst und über das Dach, auf dem sich messerscharfer Sicherheitsdraht befindet, offensichtlich schwer verletzt. Das belegen Blutspuren, die seinen Fluchtweg markieren. Auch ist offen, wie er den Sprung vom bis zu sieben Meter hohen Dach über mehrere Drahtrollen auf einen Erdhaufen überstanden hat. Obwohl er nach Angaben des Innenministeriums kein Straftäter ist, warnt die Polizei im Bereich Preungesheim die Autofahrer davor, Anhalter mitzunehmen. Die BILD-Zeitung inszeniert eine öffentliche Hetzkampagne gegen den Entflohenen, indem sie ihn als „Gangster“ betitelt, der wegen „Bandendiebstahl, Hotel- und Restauranteinbrüchen, Körperverletzung und Widerstand“ zwei Wochen im Gefängnis saß. Neben dem „gewalttätigen Ausbrecher“ ist sein Bild abgedruckt. „Zuletzt war die Bevölkerung sicher vor ihm“, heißt es zudem. ……….

30. Juni 09
Spaichingen in Baden-Württemberg. Um 4 Uhr morgens sollen Feradin Colaj (48) und seine Frau Gjyksha (48) in den Kosovo abgeschoben werden, aus dem sie, die zur Gruppe der Ashkali gehören, vor 20 Jahren geflohen waren. Die Beiden sind krank: Feradin Colaj hat einen schweren Herzschaden, und seine Frau ist seit einem Autounfall (Überfahren auf dem Fußweg) körperlich krank und schwer traumatisiert. Sie ist heute ein 24-Stunden-Pflegefall. Die älteste Tochter, Zade, hat seit dem Unfall die Verantwortung und das Management für die Familie übernommen. Als die Beamten hereinkommen, liegt Frau Colay zitternd und bewegungslos im Bett. Die 19-jährige Miranda muß ihre Mutter ankleiden. Gjyksha Colaj kann kaum gehen, zittert, stolpert und wird schließlich von den Beamten in den Wagen gehoben. Auch ihr Mann wird – wegen Widerstand und Zeitdruck – ins Polizeiauto getragen. Er verletzt sich dabei durch die Fingernägel eines Polizisten am Unterarm. Hinweise der fünf Kinder, daß die Eltern medizinische Hilfe brauchen, prallen an den Beamten ab. Eine Verabschiedung wird nicht gestattet. Den Kindern wird versprochen, daß sie ihre Eltern noch einmal sehen werden, wenn sie es schaffen, deren Gepäck innerhalb einer Stunde zu packen und zur örtlichen Polizeiwache zu bringen. Als die Kinder mit zwei gepackten Sporttaschen auf der Wache erscheinen, wird ihnen gesagt, daß die Eltern bereits auf dem Weg nach Freiburg seien – das Flugzeug soll um 10.30 Uhr von Baden- Baden aus starten. Ein vom Anwalt der Familie gestellter Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung wird gegen 10 Uhr vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Colajs werden ohne Gepäck und ohne Geld ausgeflogen. ……….
Frau Colaj gelingt es mit dem Handy eines anderen Flüchtlingsaus dem Flugzeug heraus, ihre Kinder zu erreichen. Sie sollen stark sein, sagt sie, arbeiten, ihren Weg gehen – in ihrer Heimat Deutschland. ……….

Juni 09

Bundesland Baden-Württemberg. Im Laufe des Juni werden die jugendlichen Flüchtlinge, Ahmed (17), Amanula R. (16) und ein weiterer in das Kirchheimer Flüchtlingswohnheim verteilt, nachdem sie aus der Strafhaft in der JVA Stuttgart-Stammheim beziehungsweise Hohenasperg entlassen wurden. Nach ihrer Flucht aus Afghanistan waren sie mit Hilfe von Fluchthelfern über den Iran, Irak, die Türkei und Griechenland auf dem Stuttgarter Flughafen angekommen. Sie hatten rumänische und spanische Personal-Papiere bei sich, was gleich entdeckt wurde. Unter dem Vorwurf, mit gefälschten Papieren eingereist zu sein, hatte das Amtsgericht Nürtingen sie zu zwei, drei und sechs Monaten Haft verurteilt. ……….

2. Juli 09
Bundesland Niedersachsen. Der 41 Jahre alte Rom Semsi Rama aus Göttingen wird nach 5-tägiger Abschiebehaft über Düsseldorf in den Kosovo abgeschoben. Damit ist er von seiner Frau und den minderjährigen Söhnen getrennt. Seine Festnahme und Inhaftierung war vor sieben Tagen auf der Ausländerbehörde erfolgt, als er seine Duldung verlängern lassen wollte. Seine Frau Hajrija und die Kinder halten sich nun aus Angst vor ihrer Abschiebung versteckt. Alle vier Söhne sind in Göttingen geboren und aufgewachsen. Die Eheleute waren vor 17 Jahren in die BRD geflüchtet und erhielten vor 15 Jahren Asyl. Vor 10 Jahren wurde die Aufenthaltserlaubnis widerrufen, weil Herr Rama den Lebensunterhalt seiner Familie nicht vollständig sichern konnte. ……….

3. Juli 09
Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Kurz vor seiner angekündigten Abschiebung schneidet sich ein 26-jähriger Gefangener aus dem Iran die Pulsadern auf. Er kommt ins Krankenhaus, wo seine Verletzungen stationär versorgt werden müssen. ……….

16. Juli 09
Flüchtlingsunterkunft Möhlau im Landkreis Wittenberg – Bundesland Sachsen-Anhalt. Am frühen Morgen um 4.10 Uhr klopft es an der Zimmertür der Roma-Familie Stolla in der dritten Etage. Als Herr Nazmi Stolla die Tür öffnet, drängen vier Polizisten, eine Polizistin und eine Zivilperson in den Raum. Die Eheleute – beide noch in Unterwäsche – sind geschockt. Aufgeregte Fragen, ob der Anwalt angerufen werden dürfe, ob es noch eine Gerichtsentscheidung gebe oder ob sie ihre Sachen packen dürfen, werden knapp mit „Nein“ beantwortet. Die Stimmung ist hektisch und als die Polizistin in einer schnellen Bewegung die schwerkranke Wjollca Stolla ergreift, um sie hinauszuführen, flüchtet ihr Mann in seiner Angst um seine Frau auf den Balkon. Der 49-Jährige droht, sich in den Tod zu stürzen: Es sei besser, hier zu sterben, als im Kosovo umgebracht zu werden, sagt er. Über die Feuerleiter klettert er bis zum Balkon der fünften Etage.
Als die Beamten weiterhin versuchen, ihn festzunehmen, weicht er auf nebenstehende Balkone aus. Schließlich hat er das Dach erreicht. Mittlerweile befinden sich drei Einsatzwagen der Feuerwehr, drei Sanitätsfahrzeuge und viele Polizeiwagen auf dem Gelände der ehemalige. Kaserne Möhlau – auch ein Sprungkissen ist in Position gebracht, muß aber aufgrund der häufigen Ortswechsel von Herrn Stolla immer wieder neu in Position gebracht werden. Als zwei Beamte Naszmi Stolla mitteilen, daß die Abschiebung verschoben ist, weil seine Frau zusammengebrochen sei und in ein Krankenhaus eingeliefert werde, stimmt er zu, das Dach zu verlassen – allerdings unter der Bedingung, daß sich alle Rettungsund Einsatzkräfte zurückziehen. Nazmi Stolla und seine zwei Jahre jüngere Frau sind seit 20 Jahren (!) in der Bundesrepublik. Wjollca Stolla leidet unter Diabetes, starker Migräne und einer Gehirnerkrankung. Sie hat vier Operationen im Bauch– und Halsbereich über sich ergehen lassen müssen, und sie ist traumatisiert. Ihre Kinder und Geschwister haben mittlerweile alle reguläre und stabile Aufenthalte in Deutschland und den USA. Nach dem Abschiebeversuch verlassen die Stollas das Heim und halten sich versteckt. ……….

24. Juli 09
Berliner Bezirk Wedding. Bei dem kongolesischen Flüchtling Lukusa Ndibu klopft es heftig an der Wohnungstür. Er war kurz eingenickt, nachdem er sich Essen auf den Herd gestellt hatte. Nun ist die Wohnung voller Qualm, und als er fragt, wer denn an der Tür sei, bekommt er zur Antwort: „Polizei und Feuerwehr“. Der 46-Jährige läuft zum Fenster, öffnet es und stürzt sich aus der vierten Etage in Panik hinunter. Er fällt auf ein Vordach des Hauses, auf dem er bewußtlos liegenbleibt. Erst am nächsten Tag kommt er im Krankenhaus Charité wieder zu sich. Er hat einen Schädelbasisbruch, eine Wirbelfraktur und sein linker Arm ist zersplittert. Nach Operationen und der Abheilung der körperlichen Leiden wird er in die psychiatrische Abteilung des Urban-Krankenhauses nach Kreuzberg verlegt.
Lukusa Ndibu war aufgrund politischer Verfolgung im Jahre 1995 aus dem Kongo geflohen. Er stellte in der BRD einen Antrag auf politisches Asyl, der im Jahre 2000 abgelehnt wurde. Als die Abschiebung bevorstand, tauchte er unter und lebte ca. ein Jahr ohne Papiere in Berlin.

21. August 09

Bundesland Bayern. In der JVA Nürnberg wird während der Essensausgabe in seiner Einzelzelle der 26 Jahre alte Mahmud O., Asylbewerber aus dem Irak, an seinem Hosengürtel erhängt vorgefunden. Er kann noch vor Ort reanimiert werden und kommt ins Nürnberger Klinikum. Dort erliegt er vier Tage später seinen Verletzungen. ……….
Der Iraker war im Alter von 18 Jahren im August 2001 in die BRD eingereist und wurde – nach anfänglicher Ablehnung des Asylbegehrens – schließlich durch das Verwaltungsgericht Ansbach am 25. September 02 als Flüchtling anerkannt. Er bekam daraufhin einen internationalen Reiseausweis und eine ufenthaltsbefugnis. Dieser Status wurde ihm durch ein Widerrufsverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge am 20. Januar 06 wieder genommen. Am 7. Mai 07 erhielt er eine Duldung, und da er keine Arbeit hatte, bekam er Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und mußte in eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge umziehen. Er bekam Depressionen und begab sich in nervenärztliche Behandlung. Zur Therapie gehörten auch Psychopharmaka, die in Haft weiter gegeben wurden. ……….

21. August 09
Bundesland Hessen. Im Frankfurter Stadtteil Griesheim stürmen um 4.00 Uhr morgens zehn Polizisten in Zivil und mit gezogenen Pistolen die Wohnung der alleinerziehenden Jasmina Zejnelovic. Die 41 Jahre alte Serbin soll zusammen mit der 13-jährigen Tochter Meliha und dem 9-jährigen Sohn Kenan abgeschoben werden. Der schlafende Kenan wird von den Polizisten mit den Worten geweckt: „Hallo, hier ist die Polizei, du mußt jetzt weg.“ Allein, weil Meliha nicht anwesend ist, wird die Abschiebung nicht vollzogen. Bei Kenan, der im August 2007 eine ähnliche Situation erlebte und seither unter posttraumatischen Störungen leidet, hinterläßt dieser erneute Abschiebeversuch größte Verwirrung und Verstörung. Er braucht dringend fachärztliche Behandlung – ist aber wegen der unsicheren Aufenthaltssituation nicht im Besitz eines Krankenscheines. Vor zwei Jahren hatten ihn Polizisten vor der Haustür abgefangen, als er auf dem Weg zu den Bundesjugendspielen war………..
Nach der Ankündigung in der Presse, am 28. August in Wiesbaden mit Melihas Schulklasse der Frankfurter August-Zinn-Schule Innenminister Bouffier Kerzen zu überreichen, damit ihm „ein Licht aufgehe“, wird die Abschiebung ausgesetzt. Trotz alledem erhält Frau Zejnelovic einen Strafbefehl, weil sie sich vom 1. bis 18. August illegal aufgehalten habe. Die Strafhöhe beträgt 90 Tagessätze zu je 8 Euro. Bei einem „Vergehen“, das mit mehr als 50 Tagessätzen geahndet wird, hat ein Flüchtling keine Chance mehr auf eine positive Entscheidung des Petitionsausschusses. ……….

24. August 09
Mittweida im Bundesland Sachsen. In der Flüchtlingsunterkunft Frankenau bettelt und redet die 32 Jahre alte Libanesin A. T. auf zwei anwesende Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein, um nicht umziehen zu müssen. Sie geht auf die Knie und küßt einem Amtsangestellten die Hand. Als keinerlei Reaktion kommt, zerkratzt sie sich mit beiden Händen das Gesicht, schluckt eine große Menge Medikamente. Dann geht sie hinaus und legt sich vor den dort stehenden Möbelwagen auf die Straße. In Gegenwart ihres 10- jährigen Sohnes bricht sie zusammen. Als der Ehemann um Hilfe bittet, nachdem er im Zimmer der Familie eine große Anzahl von leeren Medikamentenschachteln gefunden hat, wird er darauf verwiesen, seine Frau selbst ins Krankenhaus zu fahren. Er informiert selbst zunächst einen Krankenwagen, die Polizei und den behandelnden Arzt. Um nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen, fährt er dann seine Frau in seinem Wagen nach Mittweida. Auf halber Strecke wird sie noch in den Rettungswagen umgeladen – im Krankenhaus stirbt Frau T. gegen Mittag an der Vergiftung. Sie hinterläßt ihre Kinder im Alter von drei, sieben und zehn Jahren und ihren Ehemann. An diesem Tag stand der Umzug der Familie in das Flüchtlingslager im 15 Kilometer entfernten Mobendorf an. Noch während Frau T. im Krankenhaus mit dem Tode ringt, wird von ihrem Mann verlangt, den Umzug fortzusetzen und seine Dinge zu transportieren. Der Antrag der Familie auf dezentrale Unterbringung aus gesundheitlichen und humanitären Gründen war von der Behörde abgelehnt worden. Danach hatte die Familie erneut darum gebeten, in eine Wohnung ziehen zu können – entsprechende ärztliche Atteste, die aufgrund der Suizidalität von Frau T. die Dringlichkeit bestätigten, lagen vor. Herr T. arbeitet in Mittweida, die Kinder gehen hier zur Schule bzw. in den Kindergarten, und ein Leben im Heim war für die psychisch kranke Frau unerträglich. Sie hatte immer wieder versucht, die beabsichtigte Verlegung abzuwenden und auch mit Selbsttötung gedroht. Der Kommentar der Heimleitung nach dem Suizid: „Der Selbstmord kam …. völlig überraschend.“ ……….

26. August 09
Der 42 Jahre alte Julio Canales stirbt in einem Berliner Krankenhaus an AIDS. Seit dreieinhalb Jahren lebte er ohne Papiere in der BRD und hatte sich aus Angst vor Abschiebung jahrelang nicht getraut,eine Arztpraxis aufzusuchen. Erst Ende Juli hatte er sich an das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe gewandt, bei dem er die Adresse eines Arztes bekam, der ihm die Behandlung in einem Krankenhaus ermöglichte. ……….

1. September 09
Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Einige Stunden nach der Mitteilung, daß sein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde, versucht sich in der Nacht der 31 Jahre alte algerische Gefangene Mohamed A. mit den Scherben einer Lampe zu töten, indem er sie in seinen Bauch rammt. Den Tötungsversuch des Flüchtlings nimmt das Amtsgericht Tiergarten zum Anlaß, die Abschiebehaft zu verlängern. Die Begründung: „Der Betroffene hat seine für den 1. September 2009 vorgesehene Abschiebung vereitelt und sich somit in sonstiger Weise seiner Abschiebung entzogen.“ ……….

1. September 09
Bundesland Bayern. In der Nacht erscheinen Polizisten in dem Augsburger Flüchtlingslager in der Neusässer Straße. Wegen zu lauter Musik wurden sie gerufen und verlangen jetzt von einem 24- jährigen Asylbewerber aus Serbien, daß er sich ausweist. Dieser zieht jedoch ein langes Küchenmesser und geht damit laut schimpfend auf die Beamten zu. Plötzlich ändert sich seine Stimmung, er gibt an, nicht mehr leben zu wollen, und schneidet sich mehrmals mit dem Messer in den linken Oberarm. Nach längeren Interventionsversuchen der Beamten beruhigt er sich, legt das Messer aus der Hand und läßt seine klaffenden Fleischwunden medizinisch versorgen. ……….

13. November 09
Bundesland Sachsen. Am frühen Morgen wird der 32 Jahre alte Kurde Tarek Rashou in seiner Unterkunft in Radebeul bei Dresden von der Polizei abgeholt. Der abgelehnte Asylbewerber wird nach Berlin gebracht, von wo aus die Abschiebung nach Syrien erfolgen soll. In seiner Verzweiflung rammt Tarek Rashou seinen Kopf gegen eine Wand und gegen den Tisch und erleidet nach eigenen Angaben eine Fraktur im Stirnbereich. Eine Untersuchung oder gar medizinische Behandlung erfolgt nicht. Stattdessen kommt er in die JVA Dresden in Abschiebehaft – geplagt von sehr starken Kopfschmerzen durch die Verletzungen. Tarek Rashou lebt seit 1996 in Radebeul. ……….

15. Dezember 09

Bezirksklinikum Regensburg in Bayern. Als der Patient X. Y. erfährt, daß demnächst zwei Polizeibeamte in der Klinik erscheinen werden, um ihn in die Flüchtlingsunterkunft nach Cham zu transportieren, verläßt er das Arztzimmer, fällt zu Boden und bleibt einige Minuten bewußtlos. Danach besorgt er sich eine Rasierklinge und schneidet sich die Pulsadern auf. Daraufhin wird der 31 Jahre alte Äthiopier in die geschlossene Station verlegt. Hier geht es ihm auch nach fünf Tagen nicht besser: Er ist völlig verstört und ängstlich, kauert auf dem Boden, starrt vor sich hin, weint und zittert am ganzen Körper. Bei Geräuschen zuckt er in Panik zusammen. Er hat große Angst vor einer Abschiebung – auch vor einer Umsiedlung nach Cham. X. Y. war als 15-Jähriger aus Äthiopien geflohen, weil er mit ansehen mußte, wie Freunde und Verwandte als Oppositionelle erschossen wurden. Diese Erlebnisse haben ihn schwer traumatisiert. ……….


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