„Die Welt wird nicht warten, bis Deutschland wichtige Reformen einleitet…“
Der Bundestagsabgeordnete Hagen Reinhold (FDP) aus Barth über die alte, neue „GroKo“ und die Entwicklung Deutschlands
Nach vierjähriger Abstinenz schaffte die FDP 2017, die von 1949 bis 2013 oftmals Regierungspartei – mal mit der CDU/CSU, mal mit der SPD – war, aber auch in der Opposition agierte, die Rückkehr in den Bundestag. Die Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer „Jamaika-Koalition“ aus CDU, CSU, Bündnis 90/Die Grünen und eben der FDP, verließ die FDP, weil nach ihrer Ansicht in den grundlegenden Fragen eine große Uneinigkeit zwischen den vier Parteien bestand.
Nach der erneuten Bildung einer Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD, die alle bei der Bundestagswahl 2017 kräftige Stimmeneinbußen erlitten, ist die FDP wieder Oppositionspartei – wie auch die Linkspartei, Bündnis 90/Die Grünen und die Alternative für Deutschland.
Die „GroKo“ ist indes nicht sonderlich populär. Zwar kommt die Union, also CDU und CSU zusammen, wieder auf 33 Prozent – die SPD wird nur zwischen 16 und 18 Prozent verortet. Dahinter folgen AfD (14 Prozent), Grüne (12 Prozent), Linke (11 Prozent) und FDP (10 Prozent).
Wie beurteilt nun Hagen Reinhold, Jahrgang 1978, FDP-Abgeordneter im Deutschen Bundestag aus Barth, den Start der „GroKo“?!
Hagen Reinhold über das Regierungsprogramm der vierten Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das Scheitern der „Jamaika“-Verhandlungen, die Vorschläge der Freien Demokraten zur weiteren Entwicklung Deutschlands, die gegenwärtige Situation hierzulande, die globale Konkurrenz und das Bundesland M-V
„Die Welt wird nicht warten, bis Deutschland wichtige Reformen einleitet…“
Frage: Herr Reinhold, die neue „GroKo“ begann Mitte März 2018 endlich ihre politische Arbeit. Die Kritik am Regierungsprogramm ist allerorten immens – von Links über die Mitte bis Rechts. Wie beurteilen Sie den Regierungsstart von Union und SPD sowie deren Regierungsprogramm?
Hagen Reinhold: Der Koalitionsvertrag ist mutlos. Selbst gute Ansätze verlaufen sich in Absichtserklärungen, ohne konkreten Umsetzungsfahrplan. Das wird Deutschland nicht voranbringen. Die gute konjunkturelle Lage wird verschlafen, es gibt zu wenige Investitionen in Bildung und Digitalisierung und die versprochene Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist kein Thema mehr. Es ist eine Politik des „Weiter so!“. Deutschland verschläft damit wichtige Zukunftsfragen.
Der flächendeckende Glasfaserausbau kommt nicht voran, die Energiewende steckt in einer Sackgasse und unsere sozialen Sicherungssysteme sind angesichts des demographischen Wandels nicht zukunftssicher.
Dazu kommt, dass viele Regelungen in Deutschland einfach nicht mehr das Leben der Menschen in unserem Land widerspiegeln, weil sie aus einer Zeit ohne Mobilfunk und Internet stammen.
Wir Freien Demokraten wollen das ändern und angestaubte Gesetze fit machen für die Möglichkeiten der Digitalisierung. In der Opposition werden wir dafür eigene Vorschläge für wichtige Reformen einbringen. Mit ersten Gesetzentwürfen für mehr Bürgerrechte und für flexiblere Arbeitszeitmodelle oder unserem Antrag für günstigeren Wohnraum durch weniger Bürokratie beim Bau haben wir schon in den ersten Monaten der Legislatur deutlich gemacht, dass wir einen konkreten Fahrplan haben, wie es mit Deutschland voran gehen kann.
Frage: Die FDP wollte nicht in eine „Jamaika-Koalition“ eintreten, hätte aber durchaus die Möglichkeit gehabt auch einiges aus Ihrem Wahlprogramm durchzusetzen… Viele Wählerinnen und Wähler, die die FDP wählen, sind nun enttäuscht. Angenommen die neue „GroKo“ scheitert, wären dann neue Gespräche über die Bildung einer „Jamaika-Koalition“ eine Option für die FDP?
Hagen Reinhold: Wir sind mit konkreten Trendwenden zu entscheidenden Themen in den Wahlkampf gegangen. Dafür haben uns unsere Wähler ihr Vertrauen gegeben. In den Sondierungsgesprächen mit den Grünen und der Union gab es für diese Trendwenden zu keinem Zeitpunkt eine realistische Umsetzungschance. Das wäre für uns Freie Demokraten aber die Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung. An dieser Voraussetzung wird sich auch bei der nächsten Regierungsfindung nichts ändern.
Frage: Extreme Kritik am Regierungsprogramm von Union bzw. SPD gibt es im Hinblick auf die vagen Absichtserklärungen zur Digitalisierung, zur Steuerung der Migration, zur Durchsetzung einer besseren Bildungspolitik, zur Förderung des Mittelstandes und zur Sicherung des Renten-Systems. Wie ist Ihre Meinung zur Behandlung dieser Themenbereiche durch Union bzw. SPD? Was wäre die Antwort der FDP?
Hagen Reinhold: In vielen Zukunftsfragen haben uns andere Länder längst überholt. Wenn Deutschland im internationalen Wettbewerb standhalten will, dann müssen wir mutiger in unsere Zukunft investieren.
Wir Freien Demokraten wollen die Staatsanteile an Post und Telekom verkaufen und davon ein flächendeckendes Glasfasernetz finanzieren. Bildung ist aus unserer Sicht eine gesamtstaatliche Aufgabe, denn es konkurrieren nicht mehr Bayern mit Mecklenburg-Vorpommern, sondern Deutschland mit Nordamerika und China. Dafür brauchen wir mehr Qualität und vergleichbare Abschlüsse in Deutschland. Die Welt wird nicht warten, bis Deutschland wichtige Reformen einleitet.
Statt einer grundlegenden Rentenreform werden die Rentenpläne der GroKo die junge Generation mit über 130 Miliarden Euro belasten. Statt praxisferner Obergrenzen braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln und besseren Möglichkeiten für den Zuzug von Fachkräften. Aber anstatt Zukunftsfragen anzugehen, liegen die Prioritäten der Groko bei der Schaffung eines Heimatministeriums – so verlieren wir weiter den Anschluss in der Welt.
Frage: Die Welt wird immer unsicherer – mit Blick auf die USA, Russland oder die so genannten Schwellenländer. Es toben mehr als 40 Kriege und kriegerische Konflikte, die Gefahr eines Handelskrieges ist nach wie vor da, neue Parteien feiern europaweit Wahlerfolge und der globale Terrorismus ist nach wie vor akut. Auch in Deutschland läuft derzeit vieles nicht rund, aber der politische und mediale Mainstream thematisiert die Probleme in Deutschland nur marginal. Aus Ihrer Sicht… Geht es Deutschland tatsächlich so gut, wie Frau Merkel oder Herr Scholz meinen?
Hagen Reinhold: Deutschland hat die Krisen der vergangenen zehn Jahre besser durchgestanden als viele andere Staaten. Gerade deswegen ist es geboten, dass wir international mehr Verantwortung übernehmen. So gut wie wir wirtschaftlich für diese Aufgabe gerüstet wären, so unvorbereitet stehen wir aber faktisch da.
Mit der Umstellung der Bundeswehr auf eine Berufsarmee hätten auch die Struktur und Ausstattung den veränderten Aufgaben anpasst werden müssen. Stattdessen wirft der Zustand der Ausrüstung Zweifel an der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte auf. Hier muss in Qualität und Einsatzfähigkeit investiert werden.
Zudem müssen Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik viel stärker miteinander verzahnt werden. Der deutsche Beitrag kann aber nur in einer abgestimmten europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Wirkung entfalten. Dafür muss Deutschland eigene Ideen entwickeln und nicht nur Emmanuel Macron die Debatte um die europäische Zukunft überlassen.
Nur so können wir den internationalen Herausforderungen auch gerecht werden und unseren Teil für Stabilität und Frieden in der Welt beitragen.
Frage: Hartz IV ist in der Diskussion. Darunter fallen oft nicht arbeitsscheue Menschen, sondern vor allem Alleinerziehende, auch hoch qualifizierte, berufliche Rehabilitanden, Menschen, die einst gegen das DDR-Regime standen und dessen Gesundheit zerstört wurde oder Arbeitnehmer jenseits der 50, die vorschnell „aussortiert“ wurden. Ist eine Reformierung des Hartz IV-Systems aus Ihrer Sicht geboten?
Hagen Reinhold: Die grundsätzliche Idee von Hartz IV, zwei Sozialleistungen für die gleiche Personengruppe zusammenzufassen, war und ist immer noch richtig. Die Umsetzung hingegen war fachlich katastrophal.
Das Hartz-IV-System ist zu kompliziert und undurchsichtig, übermäßig bürokratisch und deswegen viel zu teuer. Im Ergebnis lohnt es sich für viele Menschen nicht zu arbeiten, weil sie dann weniger Geld zur Verfügung haben als mit Sozialleistungen. Das kann nicht funktionieren.
Wir Freien Demokraten wollen Hartz IV und eine Vielzahl weiterer steuerfinanzierter Sozialleistungen in einem Bürgergeld zusammenfassen. Das ließe sich über ein einziges Amt abwickeln, anstatt einem halben Dutzend Ämtern, was die Bürokratie für den Bürger vereinfacht und Kosten für den Staat einspart. Beim Bürgergeld wird Einkommen nur zu einem Teil angerechnet, so dass sich das Arbeiten immer lohnt. Das Bürgergeld schafft also eine unkomplizierte soziale Sicherung und bietet jedem die Chance, nach seinen Möglichkeiten am Arbeitsleben teilzuhaben.
Frage: Wie beurteilen Sie die politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung in M-V in den letzten Jahren?
Hagen Reinhold: Mecklenburg-Vorpommern ist mit seiner Landschaft und der Ostseeküste nicht nur ein Touristenmagnet, sondern durch seine Lage im Ostseeraum auch das logistische Tor ins Baltikum und Skandinavien. Dieses Potential wird bisher nicht annähernd ausgeschöpft.
Viele Fachkräfte werden vom schlechten Ranking Mecklenburg-Vorpommerns bei Kitas und Schule abgeschreckt. Startups kämpfen mit zu viel Bürokratie und Vorpommern bekommt einen eigenen Staatssekretär statt klarer Konzepte für den ländlichen Raum. In vielen Orten wurden in den vergangenen Jahren Busverbindungen und Zuganschlüsse gestrichen.
Damit befeuert die Landespolitik den Wegzug in die Metropolregionen Hamburg und Berlin. Mit fortwährenden Fusionsplänen werden Theater- und Orchester zusammengestrichen und die freie Kulturszene findet kaum Unterstützung in der Landespolitik.
Wir Freien Demokraten haben mit einem umfassenden Programm für Mecklenburg-Vorpommern deutlich gemacht, welche Chancen sich mit mehr Mut und Optimismus in der Landespolitik für unser Land eröffnen würden. Ob Technologiearbeitsplätze durch eine Modellregion für autonomes Fahren, neue Möglichkeiten im ländlichen Raum durch ein flächendeckendes Glasfasernetz oder eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch mehr Freiheit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber – wir Freie Demokraten wollen diese Chancen nutzen.
Auch wenn das Fehlen einer liberalen Stimme im Landtag sich an allen Ecken und Enden im Land bemerkbar macht, bin ich davon überzeugt, dass es mit dem Rückenwind einer starken FDP im Bundestag spätestens 2021 wieder eine FDP-Fraktion im Schweriner Schloss geben wird.
Letzte Frage: Wie sieht Ihr Leben eigentlich ohne die FDP und die Politik aus?
Hagen Reinhold: Ich habe eine wunderbare Familie und einen tollen Beruf. Als Handwerksmeister stehe ich mit beiden Beinen im Leben. Es kommt also auch ohne die Politik keine Langeweile auf.
Vielen Dank und weiterhin maximale Erfolge nicht nur bei der politischen Arbeit!
Marko Michels