Wem hilft ein Defibrillator?
EKG-Verfahren zeigt Erfolgsaussichten von implantierbaren Defibrillatoren
Implantierbare Defibrillatoren können Leben retten, bergen aber auch Risiken. Das EKG-Verfahren „Periodic Repolarization Dynamics“ kann helfen, die Patienten zu identifizieren, die am ehesten von einer Implantation profitieren. Das zeigt eine große europäische Studie eines Teams um drei Forscher der Technischen Universität München (TUM), der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), und der Universitätsmedizin Göttingen, die im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen ist.
Bei lebensbedrohlichen Herz-Rhythmus-Störungen kann ein starker elektrischer Impuls den Herzmuskel wieder in den richtigen Takt bringen. Genau das ist die Aufgabe von Defibrillatoren, die wie Herzschrittmacher in den Brustkorb eingesetzt werden. Die aktuellen ärztlichen Leitlinien sehen vor, dass diese Geräte bei bestimmten Herzerkrankungen vorbeugend eingesetzt werden. In der EU geschieht das jährlich mehr als 100.000-mal. Das bedeutet nicht nur hohe Kosten für das Gesundheitssystem, die Geräte stellen auch ein Risiko dar: Schätzungen zufolge kommt es bei jedem vierten eingesetzten Defibrillator innerhalb von zehn Jahren zu erheblichen Komplikationen – von Infektionen bis hin zu spontanen Stromschlägen.
Die Großstudie EU-CERT-ICD hat daher europaweit den Nutzen von prophylaktisch implantierten Defibrillatoren untersucht. Ein wesentliches Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Erstautor Prof. Axel Bauer (ehemals LMU und aktuell Medizinische Universität Innsbruck) und die beiden Letztautoren Prof. Georg Schmidt (TUM) und Prof. Markus Zabel (Universitätsmedizin Göttingen) war es in einer Substudie des EU-CERT-ICD Projekts, Patienten zu identifizieren, die von der OP besonders profitieren.
PRD: ein Indikator der elektrischen Instabilität des Herzens
Bei jedem Herzschlag wird das Herz natürlicherweise elektrisch erregt und die Erregung anschließend wieder zurückgebildet. Bei Herzschwäche kommt es häufig zu einer Überaktivität des Sympathikus, eines Teils des autonomen Nervensystems, der unter anderem in Stresssituationen aktiv ist. Dadurch kann sich die Erregungsrückbildung des Herzens destabilisieren. Ist dies der Fall, steigt das Risiko für bösartige Herzrhythmusstörungen dramatisch an. Diese gefährlichen Instabilitäten der Erregungsrückbildung können nun mit einem relativ neuen EKG-Verfahren, der sog. „Periodic Repolarization Dynamics“ (PRD), erkannt werden. „Obwohl hinter dem Verfahren intelligente Algorithmen stecken, ist die Messung doch vergleichsweise einfach“, erläutert Axel Bauer, der zusammen mit Georg Schmidt die Methode entwickelt und validiert hat.
In ihrer prospektiven Studie begleiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 1371 Patientinnen und Patienten, die die aktuellen Kriterien für den Einsatz eines Defibrillators erfüllten. 968 wurden tatsächlich operiert, bei 403 entschieden sich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gegen einen Defibrillator.
Hoher PRD-Wert: ein Indikator für den Nutzen eines implantierbaren Defibrillators
Insgesamt reduzierte die vorbeugende Implantation eines Defibrillators das Risiko, innerhalb der folgenden vier Jahre zu sterben um 43 Prozent. Patienten mit einem PRD-Wert größer oder gleich 7,5 Grad profitierten deutlich mehr, ihr Sterberisiko wurde um 75 Prozent reduziert. Lag der PRD-Wert unter 7,5 Grad, wurde die Sterberisiko nur um 31 Prozent reduziert.
„PRD könnte zu einer wichtigen Entscheidungshilfe für Ärztinnen und Ärzte werden“, sagt Georg Schmidt, Leiter der Arbeitsgruppe Biosignalverarbeitung am Klinikum rechts der Isar der TUM. „Durch die zusätzliche Information könnten wir Menschen, die von einem Defibrillator wahrscheinlich nicht profitieren werden, das Risiko eines Implantats ersparen. Stattdessen können wir uns auf diejenigen konzentrieren, deren Leben durch das Gerät mit großer Wahrscheinlichkeit verlängert wird.“ Allerdings müssen die Ergebnisse erst in weiteren Studien bestätigt werden, bevor sie Eingang in medizinische Leitlinien finden können. „Wichtig wäre unter anderem eine Untersuchung über einen längeren Zeitraum“, sagt Markus Zabel, Leiter der EU-CERT-Gesamtstudie.
Mehr Informationen:
Für die Studie EU-CERT-ICD (kurz für European Comparative Effectiveness Research to Assess the Use of Primary Prophylactic Implantable Cardioverter Defibrillators) wurden seit 2014 Patientinnen und Patienten in 44 Zentren in 15 EU-Staaten untersucht. Die Studie wurde durch die Europäische Union finanziert.
Zur Technischen Universität München:
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 550 Professorinnen und Professoren, 41.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006, 2012 und 2019 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.
Pressemitteilung der Technischen Universität München, Corporate Communications Center (red.)