Der Mann mit „dem goldenen Diskus“
M-V, das Diskuswerfen und die Leichtathletik-Traditionen im Nordosten
Ende Juli standen die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften 2015 in Nürnberg im Fokus und an diesen beteiligten sich auch einige mecklenburgische und vorpommersche Leichtathletinnen und Leichtathleten.
Darunter waren auch zwei Diskuswerferinnen, die gebürtige Greifswalderin Anna Rüh vom SC Neubrandenburg, sowie Ihre Vereinskollegin Claudine Vita und ein Diskuswerfer, der einst für den LAC Mühl Rosin bzw. den SC Neubrandenburg startete: Henning Prüfer (SC Potsdam).
Alle drei wollten eine „alte“ mecklenburgische Tradition in puncto Diskuswerfen „aufpolieren“, denn M-V und Diskuswerfen: Da ging oft etwas.
Jürgen Schult im Blick
Besonders bei einem, der gerade einen „runden“ Geburtstag feierte.
Er war nicht nur „Schult“; er ist es noch immer! Der Mecklenburger Diskus-Recke Jürgen Schult, das Urgestein einer leichtathletischen Disziplin, wurde im Mai junge „55“. Und der gebürtige Neuhauser von der Elbe, der neben Hochspringer Gerd Wessig das Leichtathletik-„Aushängeschild“ des SC Traktor Schwerin bzw. Schweriner SC war, gehört neben dem ersten Diskus-Olympiasieger der Neuzeit Robert Garrett, den anderen erfolgreichen Diskuswerfern „der amerikanischen Schule“, dem Vierfach-Olympiasieger Al Oerter, Martin Sheridan, Clarence Houser, Mac Wilkins, dem Litauer Virgilijus Alekna oder dem fünffachen Weltmeister Lars Riedel zu den bekanntesten Akteuren aller Zeiten in seiner Zunft.
Zwei Jahrzehnte ein erfolgreicher Diskuswerfer
Und die Ära des Jürgen Schult währte mehr als zwei Jahrzehnte: Seit 1983 bis hin zu Olympia 2000 in Sydney war er oftmals das „Maß aller Diskuswurf-Dinge“ – ein echter Meister seines Faches: Immer eine Top 8-Platzierung ! Aber in besonderer Erinnerung bleiben natürlich seine Erfolge: Bei Weltmeisterschaften gab es für ihn 1 x Gold (1987), 1 x Silber 1999 und 2 x Bronze 1993/97. In Sevilla 1999 schnappte ihm dabei ausgerechnet der „Ami mit den schwachen Nerven“ das WM-Gold weg. Anthony Washington, der sonst bei Großereignissen nichts „riss“, wurde mit dem letzten Wurf Weltmeister.
Zahlreiche Triumphe und Medaillen bei sportiven Highlights
„Schulle“ konnte sich hingegen immer noch mit dem Weltmeistertitel 1987 in der „ewigen Stadt“, in Rom, mehr als trösten. … Zumal er ja noch ein paar „Plaketten“ nebenbei mitnahm … So wurde er 1990 Europameister, 1998 Vize-Europameister und 1994 EM-Dritter. Im Weltcup konnte er 1989 Platz eins belegen und 1985 Platz zwei. Seine großen Stunden hatte er jedoch bei Olympia: 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona, 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney nahm er an den Spielen teil.
Und für ihn sollte dabei eine alte „Bibel-Weisheit gelten: Die Ersten werden die Letzten sein ! Er wurde bei den Olympischen Spielen 1988 zum ersten und – leider – einzigen Mal Olympiasieger. An jenem ersten Oktober des Jahres 1988 sollte er jedoch, was damals noch niemand erahnte, zugleich der letzte Olympiasieger der DDR überhaupt sein. Zwei Jahre später – am 3.Oktober 1990 – vereinigten sich die Bundesrepublik und die DDR. Jürgen Schult`s Olympiasieg 1988 war somit historisch. Mit der „Historie“ hatte es der Schweriner „Traktorist“ ohnehin: Am 6.6.1986 als alle gebannt die Fußball-WM in Mexico verfolgten, warf er in Neubrandenburg den Diskus – bei günstigen Winden – auf die sagenhafte Weite von 74,08 Metern. Noch heute Weltrekord !
Natürlich konnte Jürgen Schult auch nach seiner aktiven Zeit nicht vom Diskuswerfen lassen. Er wurde Bundestrainer.
… Jürgen Schult – der Mann, der zwar nicht mit den Wölfen tanzte, dafür aber den Diskus immer gekonnt „jonglierte“!
Nachgefragt bei Jürgen Schult (Interview April 2010, aus Anlass seines 50.Geburtstages)…
„Der Olympiasieg 1988 war der sportliche Höhepunkt !“
Frage: Herr Schult, 50 Jahre Schult. Was waren für Sie die besonderen Höhepunkte – sportlich, persönlich, beruflich ?
Jürgen Schult: Es gibt für mich sportlich zwei eindeutige Höhepunkte: Einerseits den Olympiasieg 1988, andererseits die Vize-Weltmeisterschaft 2009. Aber der Sport ist bekanntlich nicht alles. Die absoluten Highlights sind für mich persönlich meine 24jährige Ehe, mein Sohn Torsten, die Beziehung zu meiner jetzigen Lebenspartnerin sowie 50 Jahre Gesundheit – trotz oder doch gerade wegen 26 Jahren Leistungssport. Der Sport ist mitunter eben doch ein Jungbrunnen !
Außerdem möchte ich meine Zeit in Schwerin, immerhin ein Vierteljahrhundert lang, nicht missen. 17 Jahre stand mir dabei mein Trainer Hermann Brandt mit Rat und Tipps zur Seite.
Frage: Sie sind der letzte Olympiasieger der DDR und immer noch amtierender Weltrekordler. Wie war damals die Stimmung in Seoul im DDR-Team, wie war diese zwei Jahre später bei den EM in Split, als die DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft zum letzten Mal die internationale Arena betrat ?
Jürgen Schult: Die Stimmung 1988 in Seoul war sehr gut. Die Mannschaft war sehr erfolgreich und das war es, was damals vor allem zählte. Zwei Jahre später bei den Europameisterschaften in Split 1990 gab es dann das erste „Beschnuppern“ zwischen „Ost“ und „West“. Unter den Athletinnen und Athleten wurde schnell zusammengefunden.
Zwar brauchten die Trainer etwas länger, aber auch hier gab es letztendlich ein Miteinander. Bei der Funktionärs-Ebene sah und sieht es „etwas“ anders aus. Hier gab und gibt es teilweise bis heute Differenzen.
Frage: Die Jahre nach der Vereinigung … Wie war das „Zusammenwachsen“, das „Zusammenfinden“ im gesamtdeutschen Leichtathletik-Team ?
Jürgen Schult: Wie erwähnt, bei den Athletinnen und Athleten untereinander wurde die neue Situation schnell zur Normalität. Dabei wurden gemeinsame Trainingslager und Wettkämpfe zum Kennenlernen genutzt.
Frage: Sie haben so unglaublich viele Erfolge gefeiert. Welcher Erfolg war der für Sie schönste, ja nachhaltigste ?
Jürgen Schult: Das ist schon der Olympiasieg von 1988: Allein wegen seiner jahrelangen Vorbereitung und dem erfolgreichen Abschluss mit der Goldmedaille. Die Silbermedaille von 1999 bei den Weltmeisterschaften in Sevilla kommt in dieser Hinsicht dazu. Hier durfte ich innerhalb von fünf Minuten die ganze Bandbreite der Emotionen durchleben, wenn man als „Quasi-Weltmeister“ im letzten Versuch doch noch alles verliert.
Auch mein letzter Wettkampf bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney zählt dazu. Ich wußte, dieses ist der Schlussstrich, und ich genoss die Atmosphäre inmitten von 110000 Zuschauern, während sich Michael Johnson und Cathy Freeman Gold über die 400 Meter holten.
Frage: Nach ihrer aktiven Laufbahn wurden Sie Trainer. Was ist schwieriger – der Part als Aktiver oder der Part als Trainer ?
Jürgen Schult: Auf beiden Seiten sind vielfältige und schwierige Dinge zu lösen. Als Athlet kannst du selber agieren. Die Kunst des Trainers liegt darin, andere im Training und im Wettkampf zum richtigen Agieren zu befähigen …
Frage: Wie bewerten Sie heute den Leistungsstand in der deutschen Leichtathletik ?
Jürgen Schult: Aus „eins und eins“ ist nach 1990 wieder „eins“ geworden. Die deutsche Leichtathletik ist dort, wo sie auch vor der Wende war. Etwas erfolgreich und etwas nicht so erfolgreich … Als „gelernter“ DDR-Sportler sieht man die Defizite.
Aber die Gesellschaftsordnung, die den DDR-Sport ermöglicht hat, gibt es nicht mehr – und ich denke, dass auch niemand diese Verhältnisse, mit allem was an Negativem dazu gehörte, wieder haben möchte
Exkurs: Olympische Leichtathletik-Momente für M-V
Schwerins “Diskus-Urgestein” Jürgen Schult wurde 1988 vergoldet …
Mecklenburger und Vorpommern im olympischen Leichtathletik-Einsatz – Erfolge mit Kugel, Diskus, Speer und im Lauf – eine Auswahl !
Leichtathletinnen und Leichtathleten aus Mecklenburg-Vorpommern bei Olympia – das ist seit 1956 eine Erfolgsgeschichte, vor allem für die Diskuswerfer, Kugelstoßer oder Läufer aus unserer Region.
Der erste “M-Vler”, der nach dem 2.Weltkrieg an olympischen Leichtathletik-Wettkämpfen teilnahm, war der aus Skordinizia (Pommern) stammende und nach 1945 in Mecklenburg lebende Friedrich Janke.
So startete er in Melbourne 1956 im 5000 Meter-Lauf (Vorlauf) und konnte vier Jahre später, 1960 in Rom, auf dieser Strecke einen hervorragenden vierten Rang belegen. Hansjörg Kunze, vom SC Empor Rostock, machte es dann 28 Jahre später, bei Olympia 1988 in Seoul, etwas besser als Janke. Der spätere Chefreporter des Radiosenders Antenne M-V errang auf dem 5000 m-Kanten die Bronzemedaille.
Doch auch andere “leichte Athleten” aus M-V waren “laufend” beim olympischen Medaillenkampf dabei: Brigitte Rohde-Köhn vom SC Neubrandenburg holte dabei das erste Olympia-Frauen-Gold in der Leichtathletik für Mecklenburg-Vorpommern. In Montreal 1976 siegte sie mit der 4 x 400 Meter-Staffel. Ihre Klubkameradin Elfi Zinn erlief 1976 zusätzlich über 800 Meter Bronze. Überhaupt wurde die 800 Meter-Strecke für zwei Neubrandenburger Läuferinnen ein Erfolgsschlager – für Sigrun Wodars, die vom SC Traktor Schwerin nach Neubrandenburg wechselte, und für Christine Wachtel.
Ab Mitte der 1980er Jahre dominierte das Duo das Feld fast nach Belieben. In Seoul 1988 verwies Sigrun Wo. dann Christine Wa. auf den Silberplatz ! Weitere erfolgreiche mecklenburgische Läuferinnen, auch über die Hürden, waren:
Kirsten Emmelmann, die in Warnemünde geboren wurde und einige Jahre beim SC Empor Rostock trainierte bzw. 1988 mit der 4 x 400 Meter-Staffel Platz drei belegte (Bronze erlief sich hier auch Grit Breuer aus Röbel, die in der langen Staffel im Vorlaug eingesetzt wurde !).
Bei den selben Spielen, in Seoul, belegte auch die aus Demmin stammende Ellen Fiedler über die 400 Meter-Hürden Rang 3. Trotz ihres späteren Fehlverhaltens soll auch Katrin Krabbe, Anfang der 1990er Jahre die “Grace Kelly” der Leichtathletik nicht unerwähnt bleiben, die ebenfalls im Sprint in Seoul startete.
Bei einem anderen Trainer wäre sie sicher auch “ohne Mittelchen” in der absoluten Weltklasse vertreten gewesen, zumal ihr großartiges Talent für die kurzen Strecken unbestritten war und ist. 1988 erkämpfte sich die heutige Rostocker Lehrerin für Geschichte und Sport, Silke Möller-Gladisch, ebenfalls Silber mit der 4 x 100 Meter-Staffel.
Den olympischen Endlauf`88 über 110 Meter-Hürden erreichte zudem die gebürtige Neubrandenburgerin Cornelia Oschkenat. Eine Neubrandenburgerin, die bis 1977 beim SCN trainierte, sorgte 1980 für eine Medaillen-Überraschung: Christiane Wartenberg konnte in der Auseinandersetzung mit den russischen Läuferinnen 1980 Silber über 1500 Meter erringen.
Bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau feierte auch Mecklenburgs Lauf-Legende Marita Koch ihren größten Triumph. Die in Wismar geborene Ausnahme-Läuferin, die zunächst bei der TSG, dann bei der HSG in Wismar, und letztendlich beim SC Empor Rostock von ihrem späteren Ehemann Wolfgang Meier betreut wurde, gewann über die 400 Meter Gold.
Auch die Mehrkämpferinnen und Mehrkämpfer aus M-V schrieben Olympia-Geschichte – allen voran der Rostocker Christian Schenk mit Zehnkampf-Gold 1988. Torsten Voss, sein Schweriner Konkurrent, belegte `88 hinter Schenk den zweiten Platz. Mit Siegfried Stark war auch ein weiterer Schweriner, der in den 1970er Jahren ebenfalls zur Weltklasse gehörte, bei Olympia 1976/80 vertreten ! Bei den Frauen trumpfte 1988 Anke Behmer-Vater im Siebenkampf stark auf: Die erste DDR-Meisterin im neuen Siebenkampf (vorher nur Fünfkampf) 1980 gewann in Seoul 1988 ebenfalls Bronze.
Acht Jahre später gab es dann die vorerst letzte olympische Lauf-Medaille für eine frühere Mecklenburgerin. Grit Breuer konnte mit der deutschen 4 x 400 Meter-Staffel in Atlanta 1996 Bronze holen. Auch ihr sportlicher Lebensweg hätte sicherlich eine besseren Verlauf nehmen können …
Waren die M-V-Athleten im Laufen und Mehrkampf schon sehr erfolgreich, so sind die Siege und Medaillen in den technischen Disziplinen besondere Momente in der mecklenburgischen Sportgeschichte:
Den Anfang machte der Speerwerfer Walter Krüger, der 1960 Silber gewann. Es folgten Renate Garisch-Culmberger (SC Empor Rostock), Olympia-Silber mit der Kugel 1964, Ingrid Lotz, die in Malliß/Meckl. geboren wurde und in Parchim aufwuchs, mit Silber im Diskuswerfen`64, der aus Trantow bei Demmin stammende Dreispringer Jörg Drehmel, der Olympia-Gold 1972 in München nur um vier Zentimeter hinter dem Russen Wiktor Sanejew verfehlte, und die gebürtige Schwerinerin Gabriele Hinzmann-Trepschek, die in Montreal 1976 „Bronze warf“.
Für goldene Höhepunkte sorgten 1980 der Schweriner Hochspringer Gerd Wessig, heute Abteilungsleiter Leichtathletik beim Schweriner SC, der nicht nur “einfach” die Goldmedaille erkämpfte, sondern sogar diese mit einem Weltrekord von 2,36 Meter noch zusätzlich “polierte”. Jürgen Schult, der „Mister Diskuswerfen”, startete von 1988 bis 2000 bei Olympia durch … Seine Bilanz: Gold 1988, Silber 1992 und viele gewonnene Sympathien innerhalb und außerhalb Mecklenburgs !
Gold gab es 1980 außerdem für die in Demmin geborene Kugelstoßerin Ilona Slupianek; der Weitspringer Frank Paschek aus Bad Doberan kam in Moskau 1980 zu Silberehren und Diana Gansky-Sachse aus Bergen knüpfte an die Mecklenburger Diskus-Tradition an und gewann 1988 Silber. Noch “frisch” sind die Erfolge von Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss, in Grevesmühlen geboren und für den SCN startend: Gold 1996 und Bronze 2000.
Nicht vergessen sollte man aus Mecklenburger Sicht die herausragenden Erfolge der Speerwerferin Ruth Fuchs, die bis 1965 die KJS in Güstrow besuchte: Sie gewann zweimal Gold – 1972 und 1976. Eine Rüganerin, Steffi Nerius, sorgte 2004 für neuen “Speerwurf-Glanz”: In Athen gab es für sie Silber. Bei den WM 2009 in Berlin beendete sie mit Gold ihre ebenfalls einzigartige Karriere !
M.Michels
Foto/Michels: Die Leichtathletik – eine Sportart mit Traditionen in M-V.