„Befürchtete Einflussnahmen von Sportfreunden aus dem Boxverband…“
Nachgefragt bei Box-Trainer und Autor Tim Neumann
Es ist immer löblich, wenn es gelingt, die Geschichte einer Sportart interessant darzustellen. Das gilt erst recht für die 2015 eingereichte Dissertation zum Boxsport von Tim Neumann, die inzwischen veröffentlicht wurde.
Mit viel Fleiß, Leidenschaft, mit Herz und Kompetenz schrieb der sachkundige Autor Tim Lehmann, selbst früher Boxsportler, dann Trainer, ein mehr als interessantes Buch zum „Boxen in der DDR“.
Bei der Lektüre des Buches, das ungemein lebendig geschrieben ist, ist zu spüren, dass Tim Neumann den Boxsport liebt, zugleich aber wissenschaftliche Distanz wahrt. Fundierte Recherchen zur Entwicklung des Boxsportes in der ehemaligen DDR, dessen Akteure und die großen Turniere machen das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk. Dabei wird stets auch der gesellschaftliche Kontext zu den damaligen politischen Verhältnissen herausgestellt.
Lesen lohnt sich hier wirklich – auch wenn man (noch) kein Box-Fan ist… Nicht zuletzt die Entwicklung des Boxsportes in M-V, speziell in Schwerin, wird in dem Buch von Tim Neumann natürlich gebührend berücksichtigt.
Nachgefragt bei Tim Neumann
Tim Neumann zur Arbeit an seinem Buch, die Recherchen, die wissenschaftlichen Ergebnisse und neue Projekte
„Befürchtete Einflussnahmen von Sportfreunden aus dem Boxverband…“
Frage: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem interessanten Buch „Boxen in der DDR“. Wann reifte in Ihnen der Entschluß, über diese Thematik zu promovieren und Ihre Dissertation letztendlich zu veröffentlichen?
Tim Neumann: Mein ehemaliger Trainer Dr. Jochen Berger riet mir circa 2007, eine Arbeit über den Boxverband der DDR zu schreiben.
Frage: Sie waren selbst im Boxsport aktiv. Half der persönliche, aktive Bezug zum Boxsport beim Verfassen der Dissertation oder bestand nicht die Gefahr, dass man die Distanz zum „Forschungsobjekt“ verliert?
Tim Neumann: Diese Gefahr besteht sicherlich immer bei wissenschaftlichen Arbeiten. Die dafür benötigte Distanz wird normalerweise im Studium gelehrt. Darauf wies mich dankenswerterweise mein Doktorvater Prof. Siegrist etliche Male hin.
Ich befürchtete jedoch eher Einflussnahmen von Sportfreunden aus dem Boxverband. Daher hielt ich meine Arbeit geheim. Lediglich die Interview-Partner wussten davon. Dass meine Befürchtungen nicht unbegründet waren, zeigt eine unangenehme Episode. Prof. Siegrist lernte einen Manager eines großen Box-Bundesliga-Teams kennen, dem er wohl von meiner Arbeit erzählte. Daraufhin wünschte der, mit mir in Verbindung zu treten.
In einem Telefongespräch mit ihm fragte er mich, ob ich Informationen über Stasi-Kontakte oder Ähnlichem von einem Funktionär des DBV der DDR hätte, der im wiedervereinigten DBV in herausragender Stellung tätig war und ist. Ich verwies den Manager an das Bundesarchiv. Dort könne er selbst recherchieren…
Frage: Ohne eine Lektüre vorwegzunehmen… Was waren die wichtigsten, neuen Erkenntnisse zur Entwicklung des Boxsportes in der DDR?
Tim Neumann: Vorwegnehmend kann sicherlich die geplante bzw. realisierte Mitbestimmung der Politik in der AIBA (internationaler Boxverband) und EABA (europäischer Boxverband) und die damit verbundene Durchsetzung eigener Ziele erwähnt werden.
Diese wurden flankiert von innersozialistischen Grabenkämpfen einerseits und der Kompromissfähigkeit gegenüber westlichen Verbündeten andererseit, die eigentlich per offizieller Staatsräson gar keine sein durften. Das führte letztlich dazu, dass der Deutsche Boxverband der DDR zu einem Motor für Demokratisierung und Modernisierung in AIBA und EABA wurde.
Dieser Kampf um Einfluss war jedoch die Grundlage für das erfolgreiche sportliche Agieren auf internationaler Bühne eines kleinen Sportverbandes eines kleinen Landes, die sicherlich ohne die Konnexion mit den Sportwissenschaften nicht möglich gewesen wären.
Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass diese Fokussierung auf den Hochleistungssport, das heisst, die sozialistische legitimistische Leistungszielerfüllung, eigentlich nur in einem autoritären Staat möglich war. Dazu gehörte auch Repression und Überwachung.
Außerdem sind die motivationalen Einstellungen der Sportler, die wohl vordergründig von persönlichen und nachstehend von nationalen – die jedoch teilweise staatlich sanktioniert waren – dominiert waren, zu berücksichtigen.
Frage: Gibt es nun weitere Buchprojekte von Ihnen zum Boxsport bzw. zum Sport allgemein?
Tim Neumann: Ja. Ich arbeite seit einem reichlichem Jahr an einem weiteren Projekt. Das ist jedoch stärker trainingsmethodisch-sporthistorisch geprägt.
Letzte Frage: Sind Sie dem Boxsport eigentlich noch aktiv verbunden?
Tim Neumann: Ja. Ich arbeite immer noch als Boxtrainer bei meinem Heimatverein.
Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg!
Exkurs: Der Boxsport und M-V
Der Boxsport und Mecklenburg-Vorpommern. Das war, das ist eine große Erfolgsgeschichte. So wurde bereits Box-Legende Max Schmeling 1905 im vorpommerschen Klein Luckow geboren.
Der leider viel zu früh verstorbene Fritz Sdunek entdeckte, formte und trainierte in M-V, in Schwerin jahrzehntelang Boxsportler, die zu olympischen, weltmeisterlichen und europameisterlichen Ehren kamen. Der ebenfalls sehr bekannte Erfolgs-Trainer Ulli Wegner boxte Anfang der 1960er Jahre für den ASK Vorwärts Rostock und trainierte später ebenfalls zahlreiche Box-Asse. Nicht zu vergessen solche Trainer-Koryphäen, wie Uwe Behrendt oder Horst Femfert…
Namen, wie Bruno Guse, Paul Nickel, Dieter Neidel, Karl Degenhardt, Jürgen Schlegel, Manfred Weidner, Bernd Wittenburg, Rene Breitbarth, Dieter Berg, der früh verunglückte Sven Lange, Torsten Schmitz, Jan Quast, Michael Timm, Martin Dreßen, Sebastian Zbik, Sebastian Sylvester, Jürgen Brähmer oder insbesondere Andreas Zülow, Andreas Tews und Jochen Bachfeld, haben weit über die mecklenburgischen bzw. vorpommerschen Box-Grenzen hinaus einen ausgezeichneten Klang. Der Amateur-Boxsport „Made in M-V“ hatte (und hat durchaus noch immer) „Weltruf“.
Aktuell, 2019, wurde der BC Traktor Schwerin sogar deutscher Mannschaftsmeister.
– Montreal 1976 – Goldene Momente –
Vor 43 Jahren gab es dann auch endlich das erste boxsportliche Olympia-Gold für Mecklenburg-Vorpommern. Beim olympischen Box-Turnier 1976 in Montreal schaffte der 1952 in Sülten geborene Jochen Bachfeld, der für den SC Traktor Schwerin kämpfte, im Weltergewicht die Überraschung. Olympia-Gold schafften auch 1988 Andreas Zülow, 1992 Andreas Tews und 2014, bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing, Peter Kadiru. Bei den „Wettkämpfen der Freundschaft“ 1984 im Boxen in Havanna gewann Torsten Schmitz als einziger Nicht-Kubaner eine Gewichtsklasse (erster Platz im Weltergewicht).
– MV auch im Frauen-Boxsport ganz stark –
In M-V hat der Boxsport mittlerweile ebenfalls eine gute Tradition. Namen wie Alice Altmann, Anne Cravaack, Elli Wohlgemuth, Sophie Schwartz, Stefanie Sawall, Schuschan Surmaschjan, Nicole Schwarz oder Sarah Scheurich prägen und prägten das (frauen-)boxsportliche Geschehen seit den 2000er Jahren in M-V. Insbesondere in Schwerin, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald ist der Frauen-Boxsport hierzulande sehr populär.
Ornella Wahner, inzwischen Mitglied des BC Traktor Schwerin, wurde zudem 2018 in Neu-Delhi Deutschlands erste Amateur-Boxweltmeisterin.
Last but not least: Bei den FINALS Anfang August in Berlin starten auch neun Boxerinnen und Boxer des Landesverbandes M-V.
Siehe auch Beiträge zum Boxsport beim Sport-Portal MV-SPORT (www.mv-sport.de) / LINK https://mv-sport.de/c/boxen
M.Michels